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Zeit genagt, sein Schmuck ist längst herabgeworfen, Nischen, in denen keine Heiligen mehr sind, sind geborsten, Steine sind gerückt, und, wie in manchem Staatsgebäude, geht der Geist der Verwesung um mit leisem Knistern; doch die Masse der Hauptmauern ist unverwüstlich, noch nicht ergraut und scheint nur des rechten Baumeisters zu warten, der sie wieder zu schmücken weiß. –

Nicht am Aeußern allein will sich der Sinn ergötzen; er verlangt auch des Domes Inneres zu schauen. Weit geöffnet sind die hohen Pforten, und wir treten ein mit Ehrfurcht; denn unser Fuß berührt die Schwelle, welche vor uns vierzig deutsche Kaiser überschritten. An alten Grabsteinen und Monumenten vorüber, an Altären mit Heiligenschreinen hin, über das Grab des gewählten Kaisers, Grafen Günther’s von Schwarzburg weg, der hier starb, ehe er die Krone trug; über die Katakomben vergangener Fürstengeschlechter wandeln wir zum hohen Chor, zu jener Stufe am Hochaltare, wo das neugewählte Oberhaupt Angesichts des lebendigen Gottes und seines Volkes das Reichsgesetz beschwor. Viele leben noch, die des letzten Kaisers Schwur gehört, Viele, die, als sie, nach der Vertreibung des Reichszerstörers, Franz II. hier niederknieen sahen, Hoffnungen neu faßten, welche doch keine Zeit zu verwirklichen im Stande ist. – Ich huldige gern dem Großen unserer Vergangenheit; doch den Glauben, jener geheimnisvolle Ideenspuk, der in vielerlei Gestalten das deutsche Geisterreich durchschwärmt; jenes bedeutungsvolle, dunkle Einheitsahnen, das so träumerisch durch deutsche Seelen zieht und Befangene schreckt wie gespenstiges Schattenspiel – das würde sich gelegentlich in den alten abgetragenen Kaisermantel kleiden lassen, den man dann nur zu flicken brauche, – diesen Glauben halte ich für baare Thorheit.

Flüchtig nur verweilen wir bei den übrigen Merkwürdigkeiten Frankfurt’s. Wir beschauen die mit Säulen geschmückte Façade des Thurn- und Taxischen Palais, wo der österreichische Präsidialgesandte und der Bundestag zur Miethe wohnen; die Börse in einem andern Palaste, dem sog. Braunfels; die schönen Gebäude des Eisenbahnhofs, wo uns ein neues Leben voller Zukunft erfreut. Die St. Paulskirche (1834 vollendet) ist der luther. Haupttempel und unstreitig einer der schönsten Kirchenbaue der neuesten Zeit. Ihre Form ist die Ellipse; der Styl der römische; einfache Würde der Charakter ihrer Ausschmückung. Man sieht kein Bildwerk, außer auf dem Altare ein goldnes Cruzifix mit Dornenkrone und Palmenzweig. Die beiden Bethäuser der Reformirten sind auf dem Korn- und auf dem Roßmarkt und verdienen das nämliche Lob. Die Katharinenkirche ist überladen mit geschmacklosem Schnörkelwerk; sie enthält aber schöne, altdeutsche Monumente, und ihr 250 Fuß hoher Thurm ist eine Zierde der Stadt. Zu der Sankt Leonhardskirche lenken den Kunstfreund Sculpturen und Glasmalereien aus der besten Zeit; zur Liebfrauenkirche das berühmte Werk eines Bildschnitzers des 14. Jahrhunderts, eine Anbetung der heiligen 3 Könige. Im Saalhof erkennt der Alterthumsforscher den alten Palast der Carolinger wieder und erinnert sich bei der Schmucklosigkeit des Gebäudes der Genügsamkeit der alten deutschen Herrscher, und

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Siebenter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1840, Seite 198. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_7._Band_1840.djvu/206&oldid=- (Version vom 23.11.2024)