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CCCXXI. Frankfurt.




Schönes Frankfurt! Auf der nämlichen Stelle, von der die Aufnahme dieser Ansicht geschah, stand ich, als ich vor zehn Jahren zum letzten Mal dich sah! Die Paläste am Main hin warfen ihre breiten Schatten über den Strom, und nur der stumpfe Kegel des Doms strahlte noch im Heiligenschein der untergehenden Sonne. In deine Betrachtung verloren, dachte ich deiner vergangenen Zeit, und des Flusses Rauschen in der düstern Tiefe kam mir vor wie das Rauschen des Stroms der Ewigkeit, auf dem so viele deiner Geschlechter flutheten und vergingen. Deine Geschicke zogen wie Phantome durch meine Seele. Ich sah den Titanen Karl mit den 300 Bischöfen des Abendlandes zum Conzil in deinen Mauern versammelt; sah die Kurfürsten durch deine Thore einziehen zur Wahl des Reichsoberhaupts; hörte den Schwur des Gewählten vor allem Volke, Recht zu üben und die Freiheit zu schirmen überall in deutschen Landen; sah die lange Reihe der Kaiser salben und krönen in deinem Dome; – sah verschwinden all die Herrlichkeit, zusammenbrechen Reich und Kaiserthron, aus Reichsfürsten Fürsten des Rheinbundes werden, in dem Palast eines Erb-Reichspostmeisters Hof halten den Fürsten Primas, und endlich – du lieber Gott! – Beschlüsse fassen den Bundestag. Welche Erinnerungen knüpfen sich an diese Namen, welche Begebenheiten, welche Erwartungen, welche Hoffnungen, welche Täuschungen haben sie geboren! Ach, mein Traum in jener Abendstunde ist ausgeträumt, und die glühenden Farben, in welche meine Phantasie damals die Zukunft malte, hat die kalte, nüchterne Gegenwart längst ausgespottet.

Was die Welt bei der jetzigen Gestaltung der Verhältnisse verloren oder gewonnen hat, mag hier unbeantwortet bleiben; Frankfurt aber hat sich gut dabei gestanden. Keine Stadt in Deutschland, nicht eine ausgenommen, hat so große Vortheile geärndtet, hat so zugenommen an Reichthum und, als Wirkung desselben, an Schönheit und an heiterm Ansehn, wie Frankfurt. Daß das Gebäude seiner reichsstädtischen Verfassung zusammenbrach, war ein Glück; denn alles war morsch daran und ausgeartet, und die äußere Form, wie das Leben drinnen, standen im Widerspruch mit der Zeit. In Regiment und Verwaltung waren die meisten Aemter längst zu Erbstücken der Patrizier geworden und ein Pfuhl, in welchem Habsucht und Neid mit einander im Kampfe lagen. Verwirrt liefen die Competenzen der verschiedenartigsten Behörden durch einander, täglich ausstreuend die Neusaat für Hader und innere Zwietracht. Frankfurt

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Siebenter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1840, Seite 193. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_7._Band_1840.djvu/201&oldid=- (Version vom 18.11.2024)