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CCCXVI. Tegernsee.




Als die Kirche, der Cäsaren Erbin, nach und nach zur Herrschaft über die weströmische Erde gelangte, nahm sie Besitz von ihren Paradiesen, und bevölkerte sie, wenn nicht mit Engeln und Unschuldigen, doch mit Heiligen und Mönchen. Auch dieses reizende Thal gehörte einer Abtei. Es ist ein ovaler Bergkessel, den ein blanker See zur größern Hälfte ausfüllt, an dessen Gestade das ehemalige Kloster Tegernsee und das Dorfchen Egern gebaut sind. Ober- und unterhalb des Sees lachen üppige Wiesengründe, rauscht ein heller Bergstrom, und das Ganze faßt das Amphitheater der Vor-Alpen ein, welches theils hoch und steil vom Ufer aufsteigt, theils sich gemach erhebt, und dessen Fuß mit Matten und Feldern, auf dem Rücken aber mit Hochwald prangt. Es ist ein schöner Fleck der Erde, einsam und abgeschlossen, der Wald voller Wild, der See voller Fische, und die Natur voller Poesie.

Die Legende von der Gründung, und wie aus der armen kleinen Zelle im Lauf der Zeiten eine steinreiche, gefürstete Abtei der Benedictiner wurde, ist eine lange alltägliche Geschichte, und es verlohnt der Mühe nicht, deshalb den Staub alter Urkunden aufzurütteln. Genug, die Chronisten nennen 756 als Geburtsjahr Tegernsees, erzählen viel von dem heiligen Quirinus, von den Wundern seines von Rom hergeschafften Leichnams, von canonisirten Aebten und den Schenkungen frommer Fürsten und Herren, auch von der Gelehrsamkeit der Mönche, und wie sie schon zu Anfange des 16ten Jahrhunderts eine eigene Druckerei gehabt, und Bücher, Bilder und Naturalien eifrig gesammelt hätten; auch wie sie Fehden gekämpft, tapfern Rittersleuten gleich, gegen die Wegelagerer und Räuber umher. Der Vater des jetzigen Regenten Bayerns, Max, der König mit dem lichten Geiste und dem warmen Herzen, säcularisirte Tegernsee mit 200 andern Klöstern und machte ein Jagdschloß daraus.

Der Troß der Glaubensheuchler hat ihn darob gescholten und wirft noch Steine auf sein berastes Grab. Diese Menschen, deren Ideal von Gerechtigkeit nichts weiter thun soll, als den Besitz heiligen, und das Bestehende schonen, gebärden sich, als wüßten sie nicht, daß der gerechte Gott selbst ja zerstört, um zu schaffen und

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Siebenter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1840, Seite 171. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_7._Band_1840.djvu/179&oldid=- (Version vom 14.11.2024)