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seines Reichthums dem Bunde Achtung, Anerkennung und Hülfe bei den Fürsten. Augsburg, Ulm, Nürnberg und Erfurt nannte man die 4 Pfeiler der Bundesmacht im Innern des Reichs. Mit Regensburg unterhielt Erfurt einen unermeßlichen Verkehr. An vielen Orten, selbst in den fernsten Ländern, hatte Erfurt Contore und Niederlagen, und an manchen war der Handel ganz in der Erfurter Hand. Erfurt legte Hammer- und Hüttenwerke an im meißener Lande und auf dem thüringer Walde, sein Unternehmungsgeist suchte die verborgenen Schätze der Erde auf und beutete sie aus, der sonst so blühende Bergbau Thüringens, welcher kaum noch in Sagen des Volks fortlebt, kommt fast ganz auf Erfurter Rechnung. – Er sank erst, als seine Pflegerin gesunken war.

Erfurt’s lebendiger, thätiger Reichthum, der bei seinen Besitzern Pracht und vermehrten Lebensgenuß erzeugte, nach allen Radien hin Erwerbsmittel schuf und zu gleichen Bestrebungen anspornte, breitete seine wohlthätigen Wirkungen bis in die kleinste Stadt des thüringer Landes, bis in die Hütte des Landmanns aus. Die thüringer Chroniken aus jener Zeit enthalten davon die sprechendsten Beweise, und die Beschreibungen der öffentlichen und Privatfeste, nicht der fürstlichen, sondern der Bürger- und Volkslust auf Vogelschießen, Kirchweihen, Märkten, Bergfahrten etc., der Kleidungen, Speisen und Sitten auch der geringen Klassen geben uns in anziehenden Bildern zu erkennen, welch ein heitres, frohes Leben damals von Erfurt über ganz Thüringen ausgegangen, und andrerseits auch, wie damals die öffentlichen Bedürfnisse, die erkünstelten des Staats, in unsern herrlichen Gauen und traulichen Waldgründen noch nicht den Privatwohlstand verschlangen; wie noch des Bauers und Bürgers blieb, was er durch Emsigkeit errungen; wie nicht blos erworben, sondern auch genossen wurde. –

Als Erfurt blühete, vom 12. bis gegen Ende des 15. Jahrhunderts, geschah nichts von allgemeinem Interesse in Deutschland, woran die Stadt nicht nahen oder fernen Theil nahm. Häufig zogen die Kaiser nach Erfurt, hielten Reichs- und Kirchenversammlungen daselbst, und eine Menge der wichtigsten Urkunden datiren von daher. Ohne freie Reichsstadt zu seyn genoß Erfurt, vermöge seiner Privilegien, doch faktisch die Unabhängigkeit. Das Gefühl derselben erregte den Stolz, und der Reichthum mehrte den trotzigen Sinn. Im Mittelalter war keine Bürgerschaft wegen ihrer Kriegslust und ihres waglichen Sinns mehr verschrieen und mehr gefürchtet, als die Erfurter. Hader, Kampf und Fehde nach allen Richtungen hin ziehen sich durch die ganze Geschichte Erfurt’s wie ein blutiger Faden. Mehrmals traf sie der päpstliche Bannstrahl, mehrmals, ihren Trotz gegen die Kaiser zu züchtigen, die Reichsacht. Für Gegenkaiser und Gegenpäpste nahm sie oft Partei, und mit ritterlichem Sinn, wenn auch mit wenig Klugheit, ergriff sie oft die Partei der Schwächern. Neben dieser Lust an Krieg wurde die Kunst und Wissenschaft eifrig gepflegt. Die Klosterschulen Erfurt’s waren Sitze der Gelehrsamkeit. Erfurt’s Universität,

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Siebenter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1840, Seite 149. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_7._Band_1840.djvu/157&oldid=- (Version vom 9.11.2024)