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Jeder macht sich die Rechnung selbst. Es kommen chinesische Kleinhändler, Tabulettkrämer, Pastetenverkäufer, und bieten höflich, doch nicht zudringlich, ihre Waaren an. Während bei dem Wirthe alles festen Preis hat, schlägt der chinesische Kleinhändler mehr vor, als ein Jude: man ist schon betrogen, wenn man die Hälfte bietet. –

Von Nordian bis zur Mauer trifft man wohl 20 Weiler. Die Hügel zu beiden Seiten sind bedeckt mit den Trümmern alter Befestigungen, den ehemaligen Außenwerken der großen Mauer, gegen welche die Riesenwerke der Römer wie Kindertand erscheinen. Jetzt ist sie, die das Reich vor der Macht der Barbaren so wenig beschützen konnte, als die Vallen Rom vor den Völkerschaaren des Ostens und Germaniens, im Verfall und ohne Vertheidigung, während ehedem ihre Besatzung allein eine Armee von ¼ Million Soldaten erheischte. Vor Chalgan, der nächsten Station, läuft die Mauer auf der Zinne eines Felskammes hin, durch dessen Mitte ein gewaltiges Thor gesprengt ist, verschlossen mit eisernen Pforten. Man nennt es das Schild des Reichs. Jeder Fremde wird hier von der Polizeibehörde angehalten, um den Zweck seiner Reise befragt, darüber an den Gouverneur rapportirt, und dessen Erlaubniß für die Weiterreise eingeholt. Es geschieht solches mit der größten Höflichkeit und Schnelligkeit. In einer Viertelstunde ist alles abgethan und der Reisende kann dann unbefragt China durchwandern. Der Eingeborne ist schon an der Grenze frei, niemand forscht bei ihm nach Pässen, niemand nach dem Reisezweck. – Sobald man das Thor passirt hat, sieht man, in einer Lücke des Gebirgs gelegen, die Stadt Chalgan vor sich, welche das Bild im Großen wiederholt, das in Nordian so wohl gefiel. Die Stadt ist stark befestigt; die Gegend sehr schön. Der treffliche Anbau des Landes, welcher jeden Rain, jede Furche, jede Böschung eines Grabens zu benutzen versteht, die Menge und Heiterkeit der Dörfer und der einzelnen Gehöfte erregen Bewunderung. Jede Höhe, jedes romantische Plätzchen wird durch Tempel oder Kapellen geschmückt, und an den Stegen steht oft das Standbild eines Gottes, neben dem in einer Nische zuweilen duftende Kerzen brennen, oder Opfer von Früchten niedergelegt sind, die den Hungrigen und Armen, welche des Weges ziehen, als Beute überlassen sind. Auffallend ist der Unterschied der Sitten auch beim Grüßen. Während man den Fremden in den Steppen der Mongolei mit erschreckendem Geschrei empfängt, grüßt man in China mit Schweigen und dem Ausdruck, eines höflichen Stolzes, der, ohne zu verletzen, zu erkennen gibt, daß sich der geringste Bewohner des himmlischen Reichs besser dünkt, als der Fremde, der ihn heimsucht. Das Volk in den nördlichen Grenzprovinzen ist von Statur nicht groß, aber von intelligentem Gesichtsausdruck, in seinen Bewegungen frei und gewandt und äußerst rührig. Die Kleidung des gemeinen Mannes besteht aus einem blauen Ueberrock von dichtem, baumwollenen Zeuge, eben solchen Beinkleidern, Stiefletten oder Schuhen. Im Winter (denn dieser ist im nördlichen China strenge und lang!) ist der Ueberrock mit Pelz gefüttert. Eine Mütze mit aufgestutzten Ohren bedeckt den geschornen Kopf. Alle sind einerlei gekleidet; denn wie alles in diesem Lande einer hergebrachten Regel unterworfen ist, die Niemand übertreten kann, so ist auch die Tracht dem Willen des Individuums entzogen. Die Frauen, unglückliche Wesen! gehen auf ihren in kupfernen Schuhen verkrüppelten Füßen nur mit Mühe und an Handkrücken. Gemeinlich reiten sie, wenn sie sich von Hause

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Siebenter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1840, Seite 131. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_7._Band_1840.djvu/139&oldid=- (Version vom 4.11.2024)