Seite:Meyers Universum 7. Band 1840.djvu/123

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.

suchte Schutz. Ein Paar Wanderer vor mir waren auch schon umgekehrt, und instinktmäßig folgte ich nach. Es war hohe Zeit; denn noch ehe ich ein Obdach erreichte, fielen schwere Tropfen, und kaum in Sicherheit, so flammten und rollten Blitz und Donner in furchtbarem Wettkampfe senkrecht über mir, und das furchtbarste Gewitter goß seinen Reichthum wie Wolkenbruchsfluth auf die lechzende Erde herab.

Schnell und gnädig war das Wolkenheer über das Thal gebraust; aber von dem hohen Gebirgskamm elektrisch angezogen und festgehalten, dröhnte der Donner noch Stundenlang in den Thälern fort, und der Regen wollte nicht aufhören. Als es sich, nach langem Warten, wieder hellte, war es später Nachmittag. Entschlossen jedoch Schmalkalden noch zu erreichen, griff ich zum Stabe. Nie werde ich die Wanderung vergessen! Alle Herrlichkeit des Morgens schien zu verschwinden gegen die Ueberschwenglichkeit des Abends. Jedes Blatt, jeder Halm war größer geworden, der ganze Wald schien gewachsen; mir war es, als hörte ich Millionen Knospen aufbrechen, als dränge das junge Grün gewaltsam hervor, als streckten die Blätter sich gegen einander, Gespielen suchend, wie die Kinder, oder verlangend, wie sehnsüchtig Liebende. Balsamisch dufteten die Birken und die Waldblumen aus weit geöffneten Kelchen. Die Harzknoten der Kiefern und Tannen flossen über, der Boden selber hauchte Wohlgerüche. aus, und sein bläulicher Dampf stieg wie Rauchopfer zum Himmel auf. Die ganze Natur feierte, und ich nahm Theil an der allgemeinen Andacht.

Darüber war mir die Zeit entfallen, und schon tief im West sendete die Sonne goldene Strahlen aus, als ich die Höhe erreichte. Noch 2 Stunden Wegs hatte ich vor mir, durch tiefe, dunkle Waldschlucht. Aber so sehr mich’s auch zur Eile trieb, konnte ich mich doch nicht von der Höhe trennen, ohne ihrer Aussicht mit vollem Genusse mich zu freuen. Ich setzte mich auf einen Felsblock und schaute umher. Der Blick schweift von dieser Höhe über einen großen Theil der innern Gebirgswelt und das ganze Schmalkaldener Land hin. Rechts ragt, wie ein König, der Inselsberg mit seinem Hospiz; dicht dabei der finstere Steinberg; näher die Hohewart mit ihrem Felsgipfel, gerade im Angesicht der Hühnberg mit dem starren Steinhaupt und die hohe Leite; links der Sperrhügel, der Roßkopf, der Greifenberg und der sagenreiche Hermannsberg. Zwischen vorliegenden Bergkuppen hin blickt man in einen tiefen Thalkessel, und ein gutes Auge erkennt deutlich die Thürme der Schmalkaldener Hauptkirche und die hohe Wilhelmsburg. Noch weiter hin öffnet sich die Aussicht auf’s Werrathal, und die lange blaue Kette der Rhön macht in der Ferne den Rahmen.

Wenige Pässe des Gebirgs haben eine schönere Aussicht, und der Sage nach soll auf dem nämlichen Stein Luther geruht und sich an ihr ergötzt haben, als er zum großen Fürstentage nach Schmalkalden zog. –

Diese Erinnerung rief den Heros des Jahrtausends vor meine Seele. Er kam mir vor wie ein Riesenvulkan in der Geisterwelt, der sie bewegt fort und fort, daß sie nicht mehr zur Ruhe gelangen kann. Ich stellte

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Siebenter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1840, Seite 115. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_7._Band_1840.djvu/123&oldid=- (Version vom 29.10.2024)