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CCCIII. Das Brandenburger Thor in Berlin.




Im klassischen Alterthume war die Kunst eines der mächtigsten Mittel, um auf die Bildung der Völker zu wirken. Großartige, architektonische Anlagen, ausgestattet mit Statuen von Göttern und Helden, oder mit den Bildwerken ihrer Thaten, prangten in allen Städten Griechenlands und Roms, und vergegenwärtigten des Staates Herrlichkeit und Macht. Auf der Burg von Athen z. B. fand man in ideenreicher Ordnung Alles versammelt, was fähig war, dem atheniensischen Volke die höchste Meinung von seinem Ich einzuflößen und es zum edelsten Stolze zu entflammen; und nicht nur in Rom, nicht nur in Italien, auch in allen größern Orten Galliens, Spaniens, der afrikanischen und asiatischen Provinzen baueten Consuln, Triumvirn und Kaiser, namentlich Cäsar, August und dessen Nachfolger jene prächtigen Foren mit Tempeln und Triumphbögen, und stellten die Statuen der großen Römer in ihren Hallen auf.

Lange hat es gedauert, ehe germanische Cultur den Versuch irgendwo erneuerte, die Kunst jener edlen Bestimmung zurückzugeben, und erst in neuester Zeit ward man sich des Zwecks wieder klar und bewußt. Eine Nachahmung versuchte zwar Ludwig XIV.; doch nur aus Eitelkeit und Prunksucht, ohne Ahnung eines edleren Motivs. Er schmückte sein Paris und Versailles mit jenen großartigen, architektonischen Anlagen aus, die immer noch bewundert werden. Ihm folgte Friedrich der Große, der in Potsdam Versailles neu auflegte, und Berlin mit jener 4000 Fuß langen und 160 Fuß breiten Straße, der schönsten in der Welt, zierte, die wegen ihrer vierfachen Allee von Linden, womit sie bepflanzt ist, den Namen „unter den Linden“ führt. Sie ist schnurgerade, und endigt in dem sog. Pariser Platz, den der colossale Triumphbogen des Brandenburger Thors verschließt. Auch zu dieser Anlage entwarf Friedrich II. den Plan; die Ausführung fiel jedoch seinem Nachfolger zu. Langhans baute ihn 1789–1790 nach dem Muster des Propyläums der Atheniensischen Acropolis. Er macht eine 200 Fuß breite und 80 Fuß hohe Colonnade, mit 4 Pforten und einem Hauptthor. Basreliefs schmücken die Metopen, Darstellungen des Kampfes der Lapiden und Centauren. Auf der Zinne des Bogens steht die herrliche Quadriga – Siegesgöttin mit dem Viergespann, in der Rechten das eiserne Kreuz mit Preußens Adler haltend. Dieß schöne Werk, aus getriebenem Kupfer gefertigt, führte Napoleon 1808 als Trophäe nach Paris. 1814 holten die preußischen Heere, wie einst die griechischen Helden das goldene Vließ, ihr Heiligthum im Triumphe wieder.



Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Siebenter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1840, Seite 107. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_7._Band_1840.djvu/115&oldid=- (Version vom 29.10.2024)