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oder auch unterstützt, je nachdem der Zufall es bestimmt. Erfahrung auf Erfahrung sammelnd, wird er jeden Tag mißmuthiger und mißtrauischer, und immer unzufriedener wendet er die Blätter des so schwer zu lesenden Buches „Welt“ um. Zufällige Verhältnisse bilden indeß seinen Beruf. Nicht Neigung, nicht Fähigkeit haben dabei eine Stimme. Den die Natur zum Künstler schuf, der wird ein Bauer, weil sein Vater ein Bauer ist; der zum Minister Geborne dient als Kanzlist dem Tropf, der im Kollegium vorsitzt, und es niemals hatte weiter bringen dürfen, als zum Kopisten. Kein Mensch hat sich jemals darum bekümmert, zu erforschen, wozu er tauglich gewesen; er selbst kam nie darüber zur Klarheit, er schleppt nur das unbehagliche, beunruhigende Gefühl mit sich, daß er auf verkehrtem Wege geht, und sich an ein Geschick, an einen Beruf gebunden hat, in welchem er die Talente, deren Keime er in sich trägt, nie zur Förderung seines irdischen Wohlseyns entwickeln kann. Gezwängt in eine Lage, welche jeder Neigung widerstrebt, brütet er hin in Mißmuth und trägt entweder sein Unglück mit Resignation, oder – er erschöpft sich in Versuchen seine natürlichen Anlagen der zwängenden Hülle zu entreißen, unter welcher sie ersticken. Fruchtlose Versuche! Er entwirft Pläne, häuft Anschläge auf Anschläge, entwirft Stizzen auf Skizzen: – angeschmiedet an den Felsen der Verhältnisse, kann er nichts vollenden. Das Gesetz hat den Kreis seiner Wirksamkeit mit engen, bestimmten Schranken umzogen: er mag Ideen, Wünsche, Chimären, Hoffnungen hegen, aber sobald er handeln will, tritt es ihm hindernd entgegen, zeigt es dem Fortschrittsdrang schroffe Berge, öffnet es Abgründe unter seinen Schritten. Da mag er wohl um sich schauen und Auswege suchen. Gibt es keine? fragt er sich anfangs scheu und leise. O in Menge gibt es ihrer, und es sind blumige Pfade, deren Meilenzeigerarme das gesuchte Ziel ihm als ganz nahe verkünden. Arglist und Betrug laden ihn schmeichelnd ein, jene Auswege zu wandeln. Lange, jubelnde Schaaren sieht er ziehen, Stern- und Ordensleute, Bürger- und Bauernvolk durcheinander, und er erfährt das Geheimniß, daß von Tausenden erst Einer am Galgen stirbt, der ihn verdient. Er zaudert, endlich wagt er’s, und der Verbrecher ist fertig. Vom lichten, hohen Galgen schneidet ihn dann wohl des Kaisers Gnade ab, aber nur, um ihn in Spielberg’s Kerkernacht zu stürzen. So bevölkern sich von Geschlecht zu Geschlecht diese gefürchteten Zellen.

Noch einmal! Unsere Erziehung, die alltägliche, ist die Mutter unserer Verbrechen. Weit entfernt, den Menschen vorzubereiten, mit Geschick und fester, sicherer Hand das Lebenssteuer zu führen, schickt sie ihn vielmehr auf die zerbrechliche Barke, wie einen unerfahrenen, schlaftrunkenen Matrosen. Ist’s dann ein Wunder, daß das Fahrzeug auf dem unermeßlichen Ocean treibt, an alle Klippen stoßend und ein Spiel aller Winde? Daß aber der Schiffbrüchigen nicht noch mehre sind, das ist jene Barmherzigkeit, die wachend und schirmend ihre Hand vorhält den fallenden und strauchelnden Kindern!



Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Sechster Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1839, Seite 78. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_6._Band_1839.djvu/86&oldid=- (Version vom 18.11.2024)