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und Bettelei, quälen den Fremden von dem Augenblicke an, wo er den Fuß auf’s Land setzt. Blos die Geistlichkeit ist reich; sie verzehrt ⅔ der öffentlichen Einkünfte, und beherrscht Volk und Regierung.

Santa Cruz ist der Haupthafen der Insel, und die Produkte derselben: – Wein, Seide und Barilla werden von hier aus verschifft. Unfern davon liegt Oratova. Die Umgebungen dieses Städtchens hielten die Insulaner noch vor wenig Jahren für das Eden der Bibel; so herrlich waren sie in ihren Augen. Ortova besaß reiche Kornfelder, Gärten und Weinberge, die unzählige Quellen bewässerten, welche über der Stadt dem Berge entsprangen und seine Wände mit frischem Grün und bunten Blumen schmückten. Macht dieß auch noch kein Paradies, so war es doch eine freundliche Oase in der Wüste. Eine kurze Stunde zerstörte Alles. Am 16. März 1826 gerieth, während eines Orkans, der die ärgsten Verwüstungen auch auf andern Theilen des Eilandes anrichtete, die Erde unter und in der Nähe von Oratova in wellenförmige Bewegung, wie Staub schüttelte sie die Kapellen, Klöster und Villen von den Höhen herab, donnernd stürzten die Felsen und Berge nach, bald war die ganze Gegend ein Haufe wüster Trummer. Die Gärten, die Fluren, die Stadt selbst mit Allem, was Leben hatte in ihr, war hin bis auf die letzte Spur. Die Schlußscene machte ein furchtbarer Stoß, der dem Vulkan den Bauch öffnete und heraus wälzte einen Strom siedenden Wassers, mit solcher Gewalt, daß er die größten Felsblöcke mit sich fort und zum Meere riß, in welches er sich zischend und brausend, von unterirdischem Donner begleitet, 6 Stunden lang ergoß. Jetzt ist Oratova ein armseliger Flecken, dessen wenige Einwohner meistens von den Allmosen der Fremden leben, welche herkommen, um von da aus den Pik zu besteigen.

Dieser ist von keiner andern Seite und nur schwer zu erklimmen. Wegen der außerordentlichen Steilheit ist der Weg hinan im Zickzack geführt, und ein tüchtiger Bergsteiger braucht, den Gipfel zu erreichen, 6 volle Stunden. Die kegelförmige Spitze besteht ganz aus Asche und Bimsteingerölle, welches jedem Tritte nachgibt. Eine Lavamauer, so schmal, daß sie kaum Raum zum Niedersitzen läßt, umgibt den cirkelrunden Krater, dessen Durchmesser etwa 300 Fuß beträgt und dessen Wände senkrecht in die Tiefe niedergehen. Von der Spitze des Pik, der dem Montblanc an Höhe fast gleich kommt, sieht man nicht blos Teneriffa, sondern auch die übrigen Inseln der Gruppe mit ihren lieblichen Landschaften auf das deutlichste zu seinen Füßen, die spiegelnde Fläche des Meeres 200 Meilen in der Runde, und bei hellem, günstigen Wetter dringt das unbewaffnete Auge bis nach Afrika, und deutlich erkennt’s die unermeßlichen Wälder, welche die Küste bedecken, und die blauen Gebirge, hinter denen die Sahara bis an den Nil sich ausdehnt.

Obschon die häufigen Erdbeben, das öfters hörbare unterirdische, donnerähnliche Geräusch, und die von Zeit zu Zeit aufsteigenden Rauchwolken von der fortwährenden Thätigkeit des Vulkans Zeugniß geben, so ist doch seit 1704 kein eigentlicher Ausbruch erfolgt. Während der größten Hälfte des Jahres ist der Gipfel auf mehre tausend Fuß mit Schnee und Eis bedeckt, und dann ist er unersteiglich. Bei reiner Luft kann man den Pik, vom Meere aus, 200 Seemeilen weit sehen, und er dient den Schiffen, welche von Europa nach dem Kap und Indien fahren, als

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Sechster Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1839, Seite 68. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_6._Band_1839.djvu/76&oldid=- (Version vom 2.10.2024)