Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Sechster Band | |
|
Sonnen, umkreiste sie im ewigen Laufe. Die Fortschritte der Wissenschaft haben der guten Mutter Erde diesen Heiligenschein längst weggenommen, welchen Unwissenheit und Eitelkeit der Menschen ihr angeheftet hatten, und wenn es noch etwas bedarf, die Verwandlung unsers Weltriesen in einen Weltzwergen zu vervollständigen, durch Dampf und Eisenbahnen würde es gewiß geschehen. Darf nicht jedes Kind der lebenden Generation hoffen, sie einmal zu umkreisen? So viel zur Entschuldigung meiner Lizenz mit dem Shakspeare’schen Texte.
Schneller als alle Ariels und Zauberer reist der alleinige Herr über Raum und Zeit – der menschliche Gedanke. Vom Ganges-Ufer, vorbei an Calkutta, dem London des Ostens, an Ceylon, dem Kap, St. Helena vorüber schiffen wir im Nu. Auch die sonst so langweilige Seefahrt auf dem glühenden Erdgürtel kann uns nicht langweilen. Halloh! schon ruft’s am Steuer Land! und unser ungeübter Blick entdeckt eine hohe Schattengestalt am nördlichen Horizonte, die bald kömmt, bald verschwindet. Allmählich kleidet sich die Erscheinung in Dunkelblau, und sie gewinnt eine bleibende Form; sie gemahnt uns wie ein unermeßlicher Spalt im Himmelsgewölbe, durch den man in einen zweiten, ferneren Himmel sieht. Es verschwindet auch diese Illusion; vom dunkeln, tiefern Himmelsblau geht die Farbe des Gegenstandes in ein Luftgrau über, und glitzernde Lichtstreifen, die Reflexe von Schnee- und Eisfeldern, zeichnen den Bergriesen in der schärfsten Contour. Der Pik von Teneriffa steht vor uns in voller Majestät. –
Teneriffa, das größte Eiland der canarischen Gruppe, mit 120,000 Einwohnern spanischer und portugiesischer Abkunft, hat, so grandios und malerisch es sich auch von ferne ausnimmt, doch keine landschaftlichen Reize. Die ganze Insel ist eigentlich nur der obere Theil eines Vulkans, dessen Fuß im Boden des Meeres wurzelt. Zuweilen erfreuen das Auge Baumpflanzungen, Weinberge und Getreidefelder: Neunzehn-Zwanzigstel der Oberfläche sind jedoch bedeckt mit vulkanischen Ueberresten, mit Asche, Bimstein und Lava, auf denen kein Grashalm fortkommt. Ragt auch da und dort aus einer Spalte, oder Felskluft, wo sich im Laufe der Jahrtausende etwas Dammerde sammelte, eine verkrüppelte Kiefer, oder eine einsame Palme; so ist dieß doch mehr dazu gemacht, das Desolate der Landschaft zu vergrößern, als es zu mildern. Am zurückschreckendsten sind die Küstenstriche. Nirgends ist da eine Spur von Kultur zu sehen, welche die Wände des ungeheuern Schornsteins der unterirdischen Schmelze fleckweise mit Grün bekleidete.
Die Ortschaften der Insel entsprechen dieser Beschreibung; sie sind, ohne Ausnahme, klein, arm und schmutzig im höchsten Grade. Die Hauptstadt, St. Christoval de Lagun, gewährt schon von ferne einen traurigen Anblick. Sie besteht aus etwa 400 kleinen, blendend-weißen Gebäuden, die auf dem baumlosen Gestade zerstreut umher stehen, hinter welchen sich Felsen von schwarzer Lava erheben. Auf den Zinnen der letztern sieht man eine lange Reihe schwerer Geschütze. Fast alle Einwohner sind arme Fischer, und die steten Begleiter der Spanier: Faulheit
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Sechster Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1839, Seite 67. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_6._Band_1839.djvu/75&oldid=- (Version vom 2.10.2024)