Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Sechster Band | |
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vergebens. Man behing ihn mit bunten Lumpen, band ihm eine Teufelslarve vor’s Angesicht und stellte ihn aus, damit die rohe Menge Spott und Schimpf mit ihm treibe. Als nun die Vorbereitungen zur Hinrichtung getroffen waren, da wurde der Märtyrer auf einen mit Teufelsfratzen und den Vorstellungen höllischer Strafen bemalten Karren gesetzt und unter dem herzlosen Jauchzen der Menge hinausgeführt nach seinem Golgatha, jener Anhöhe am See, wo des Martyrers Eiche grünt! Dem Karren folgten 1000 Priester und eine Anzahl weltlicher Fürsten in feierlichem Aufzuge; ihnen nach und zur Seite drängte die Menge zu Tausenden. Es war zu der Zeit gerade eine totale Sonnenfinsterniß, einen Umstand, den man benutzt hatte, um auf das abergläubische Volk zu wirken. Langsam bewegte sich der Zug in dem schauerlichen Zwielichte, und die Sonne stand, blutigroth und strahlenlos tief am Horizont, als man anlangte. Hoch und breit war der Holzstoß aufgerichtet, Pechkränze umhingen ihn und in der Mitte erhob sich aus sorgfältig geschichtetem, harzreichen Kienholze eine Plattform, aus deren Mittelpunkte ein Mast emporragte. Oben standen die Henkersknechte und winkten. Festen Trittes bestieg Huß die Leiter. Noch einmal wurde er durch den Oberprofoß aufgefordert, zu widerrufen. Huß lächelte und antwortete nicht. Nun packten ihn die Henker, rissen ihm die Kleider vom Leibe und banden ihn mit rostigen Ketten nackt an den hohen Marterpfahl. Zürnend aber trat ein Bischof aus der Schaar der Priester und befahl, ihn rückwärts zu binden; denn man habe das Haupt des verfluchten Ketzers nach Osten gerichtet, wie das gemeiner Verbrecher, – aber ein Ketzer sey nicht werth, nach Osten zu schauen. Die Henker gehorchten. Indessen war der Schatten von der Sonne gewichen und ihre volle Scheibe leuchtete dem Betenden in’s Antlitz. Schon naheten die Henkersknechte mit den zündenden Fackeln; – da ritt der Graf von Pappenheim, der Reichsmarschal, heran und rief dreimal mit lauter Stimme: „O Huß, widerrufe und rette dein Leben!“ – Huß aber antwortete: „Ich sterbe in der Wahrheit. Ehre sey Gott in der Höhe von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen!“
Jetzt berührten die Fackeln die Pechkränze und ein weiter Flammenkreis umwirbelte den Märtyrer. Als die Flammen aufschlugen, brach das Volk in ein Freudengeschrei aus. Immer näher umflatterte die Lohe das Opfer; da wurde es stille in der unermeßlichen Menschenmenge, als stürbe ihre rohe Natur; – und eine weiche, zitternde Stimme durchdrang den Flammenkreis. Huß sang eine Hymne. Enger und immer enger umschloß ihn die Gluth, immer leiser tönte die Stimme. Da spaltete ein Windstoß den feurigen Vorhang, und noch einmal sah die Menge die Gestalt des Gemarterten. Hoch erhob er die betend gefalteten Hände, und das verklärte Auge war nach dem Himmelsblau gerichtet. Fest hing es an einer Stelle, als erschauete er dort den Unendlichen. Ein stiller Glanz war ausgegossen über sein Antlitz, das Land der Seligen schien aufgedeckt vor seinen Blicken, und unter den Qualen des Körpers schwelgte sichtbar seine Seele im Vorgenuß des Himmels. Es war
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Sechster Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1839, Seite 56. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_6._Band_1839.djvu/64&oldid=- (Version vom 1.10.2024)