Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Sechster Band | |
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Erforschung der Wahrheit gerichtet, und seine umfassende Gelehrsamkeit diente diesem Zweck als Mittel. Als Beichtvater der Königin Sophia wurde er mit den Schriften Wikleff’s bekannt, die zu lesen der Papst hart verpönt hatte. Die Lehren dieses großen Mannes, deren Wahrheiten die Bibel belegt, erfüllte Hussen’s Seele mit dem Vorsatze, der ausgearteten Kirche die Einfachheit und Reinheit des schriftmäßigen Christenthums wiederzugeben. Er begann sein apostolisches Wirken damit, daß er öffentlich gegen die Mißbräuche in kirchlichen Sachen predigte und die Nothwendigkeit einer Reform behauptete.
Die Zeit war günstig. Das große Schisma, das Verketzern von Päpsten und Gegenpäpsten wider einander, hatte das kirchliche Oberhaupt vom Heiligenscheine entkleidet und die Blößen von Priesterherrschaft aufgedeckt. Adel und Volk in Deutschland, besonders aber in Böhmen, dem damaligen Sitz der Aufklärung, waren durch einige helle Köpfe, welche als Vorläufer der Huß’schen Lehre galten, gegen die willkührlichen Satzungen des Papstthums eingenommen und an freiere Urtheile gewöhnt. König Wenzel begünstigte den antipapstistischen Geist aus politischen Gründen und aus Neigung für den geachteten Huß. Dieser durfte daher die verwilderten Sitten der Priester öffentlich rügen und wider den Ablaßkram des Papstes in Böhmen predigen: er sagte nichts Neues, wenn er Seelenmessen, Bilderdienst, Mönchsleben, Ohrenbeichte, Fasten u. d. gl. für Erfindungen des geistlichen Despotismus und Aberglaubens, und die Vorenthaltung des Kelchs beim Abendmahle für schriftwidrig erklärte. Der neue Papst, Alexander der Fünfte, forderte ihn endlich nach Rom, und da sich Huß nicht stellte, übertrug jener dessen Verfolgung dem Erzbischofe von Prag. Solcher, ein eifriger, orthodoxer Priester, begann damit, die Wickleff’schen Schriften überall, wo er ihrer habhaft werden konnte, wegzunehmen und öffentlich zu verbrennen. Huß sollte nicht mehr predigen. Der aber kehrte sich nicht daran, sondern schickte ein paar Freunde nach Rom, um den Erzbischof beim päpstlichen Stuhle zu verklagen. Statt sie zu hören, ließ sie der Papst verhaften. Oeffentlich denunzirte nun Huß das päpstliche Verfahren als dem apostolischen Geiste zuwider, und appellirte an ein allgemeines Conzil. Der Papst schleuderte dagegen auf Huß den Bannstrahl und belegte Prag mit dem Interdikt. Huß, den Wankelmuth Wenzels fürchtend, entfernte sich aus Prag und schrieb die merkwürdigen 6 Bücher gegen die 6 Irrthümer der katholischen Kirche, und als er bald darauf wieder, furchtlos und entschiedener wie früher, als antipapstistischer Prediger auftrat, gewannen die Hussischen Lehren in immer weitern Kreisen Anhänger und mächtige Freunde.
Jetzt erhielt er von dem in Constanz versammelten Conzil eine förmliche Ladung, sich vor den christlichen Oberhirten aller Nationen und vor Kaiser und Reich über seine Glaubensgrundsätze zu rechtfertigen. Kaiser Sigismund verband die Ladung mit der feierlichen Zusage sichern Geleits zur Hin- und Rückreise, und auch der Papst Johann XXIII. versprach ihm das nämliche. Huß bedachte sich keinen Augenblick und erklärte, er sey bereit, sofort mit den Gesandten des Conzils abzureisen. Seine Freunde, König Wenzel selbst, riethen ihm ab; doch vergeblich. Als
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Sechster Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1839, Seite 54. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_6._Band_1839.djvu/62&oldid=- (Version vom 17.11.2024)