Seite:Meyers Universum 6. Band 1839.djvu/61

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.

Constanz’s Glanz war am höchsten zu der Zeit, als es den zahlreichsten Congreß von Kirchenfürsten herbergte, der sich jemals irgendwo versammelt hat. Das weltberühmte, und in seinen Folgen so wichtige Constanzer Conzil dauerte von 1414–1418, vier volle Jahre. Alle christlichen Völker fandten ihre geistlichen Oberpriester; – der Pabst selbst kam mit einem Gefolge von 600 Personen, fünf Patriarchen mit 118, drei und dreißig Cardinäle mit 150, sieben und vierzig Erzbischöfe mit 1500, hundert und sechzig Bischöfe mit 1600, fünf hundert weltliche Fürsten und Grafen mit 1700 Rittern und mit einer Dienerschaft von 5000 Personen. Die Universitäten schickten über 1000 Doktoren und Magister, und die Zahl der anwesenden Weltpriester überstieg 4000. Was, beim Besitz der Mittel, Genuß und Vergnügen suchte, oder, als Werkzeug für das eine oder das andere, auf Erwerb spekulirte, das ging nach Constanz, von dem es zu jener Zeit hieß:


In Constanz siehst du

     Die fettsten Bäuche
     Aller Reiche.

 
An allen Ecken

     Da treiben sie wüste
     Sodom’sche Lüste.


Schon jene Zahlen sind hinreichend, um eine Vorstellung von dem luxuriösen Leben zu geben, von welchem Constanz damals der Mittelpunkt war; aber keine Vorstellung erreicht das, was die alten Chroniken davon berichten. Geistliche Umzüge wechselten mit Turnieren, Saufgelage und Schmausereien mit Oratorien, Comödien mit den feierlichen Sessionen der versammelten geistlichen und weltlichen Fürsten. Der See selbst wurde zum Schauplatz des Vergnügens. Bald ergötzten Lustfahrten, bald Stechrennen und Gastereien, die auf besonders dazu gezimmerten großen Flössen gehalten wurden. Die englischen Kardinäle verschrieben ihre Mysterienspieler; aus Venedig und Genua berief man Gauklerbanden und Tänzerinnen aus Palermo und Neapel. 3000 Geiger und Musikanten ließen der Lust und ihrem Taumel kein Ende finden. Jeder Tag hatte ein neues Fest und erfand neue Genüsse. Und inmitten dieses Treibens ward zu Gericht gesessen über die wichtigsten Angelegenheiten der Kirche und aller christlichen Völker, wurden zwei Päpste entthront, ein dritter zur Abdankung genöthigt, ein vierter, in der Person Martin des Fünften, gewählt. Mehre Erzbischöfe wurden von ihren Sitzen verwiesen, weltliche Herrscher gedemüthigt und zur Anerkennung der geistlichen Obergewalt gezwungen. Der Glanzpunkt aber des Conzils war das Verhör und die Verurtheilung jenes Mannes, dessen flammendes Lebensabendroth der Welt einen schönern Tag weissagte. –

Prag, damals der Hauptsitz der Gelehrsamkeit und Bildung, mit einer Universität, die eine kaum glaubliche Frequenz genoß, hatte an Huß einen Mann erzogen, der auf dem Catheder, wie auf der Kanzel, Ruhm ärndtete. Unbescholtenen Wandels und von strenger Tugend, war sein unablässiges Streben auf die

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Sechster Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1839, Seite 53. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_6._Band_1839.djvu/61&oldid=- (Version vom 1.10.2024)