Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Sechster Band | |
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festhaltend, fahren empor; sie scheinen den finstern Aufenthalt zu fliehen, denn schneller als sonst erheben sich die Tonnen. Eine Todtenstille folgt; der Abgrund scheint wie ausgestorben. Da schlägt die Thurmglocke zwölf; ihr nach hallt ein hohles Rufen aus der Tiefe, wie Weheruf. Abermalige Stille. Auf einmal fängt unter dir die Erde zu beben an, ein krampfhaftes Zucken folgt und in demselben Momente ein betäubender Schlag, ein Krachen wie von hundert zugleich losgelassenen Geschützen, und ein entsetzlicher Donner wälzt sich in den Eingeweiden der Erde hin; tausend Blitze zucken im Abgrunde, und unter Rauchwirbeln schleudert es Steine und Erzmassen hoch über den Rand empor. Ein Prasseln wie von nachstürzenden Feldmassen begleitet den Donner; er verhallt und stille ist’s wieder, als wäre nichts geschehen. Niemand scheint das grandiose Schauspiel zu bemerken, das dich erschüttert. Ruhig schmaucht der Steiger, dein Führer, sein Mittagspfeifchen fort, ohne nur aufzusehen. Erkundigst du dich nach der Ursache der schreckhaften Erscheinung, so erfährst du, daß jeden Mittag die in der Morgenschicht abgebohrten Sprengbatterien losgelassen werden, und man dazu die Essenszeit der Arbeiter benutze, weil dann um so weniger Unglücksfälle zu fürchten seyen.
Nach einer halben Stunde fahren die Arbeiter wieder an. Die Neugierde bezwingt deine Furcht, – auch du besteigst eine Tonne und mit der Schnelligkeit eines Pfeils fährst du in den vierhundert achtzig Fuß tiefen Abgrund. Nie wirst du den Anblick vergessen. Auf den Eisfeldern, welche den Boden bedecken, liegen die von der Gewalt des Pulvers losgesprengten Erzmassen chaotisch umher, und hunderte von Menschen sind beschäftigt, sie auf Karren zu sammeln und die größern mit gewaltigen Hämmern und Keilen zu spalten. Ungeheure schwarz geräucherte Eiszapfen hängen von jedem Felsvorsprung hernieder, und darunter sind schon wieder zahllose Hände mit Bohren beschäftigt, die nächst- zu lösende Batterie vorzurichten. Hier und da lodern Feuer, und schwarze Gestalten lagern umher, um nach geschehener Sprengarbeit auszuruhen und ihr frugales Mittagsmahl einzunehmen, das selten aus etwas anderm als Erdäpfeln besteht, die sie am Feuer rösten.
Nicht weniger als 1800 Menschen finden in dieser Grube täglich Arbeit; karg ist ihr Lohn, nie mehr als ein Kupferthaler, kaum 2 Groschen oder 9 Kreuzer; aber dennoch ist sie eine Wohlthat der ganzen Gegend und wird als ein Segen Gottes gepriesen. Das Erzlager von Dannemora scheint unerschöpflich. Seit 1580 in ununterbrochenem Betrieb, hat es jährlich im Durchschnitt 1 Million Centner Erze zu den Hütten geliefert. Die Masse des seit jener Zeit ausgebrachten Eisens übersteigt 110 Millionen Centner, ein Werth von mehr als 500 Millionen Gulden.
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Sechster Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1839, Seite 36. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_6._Band_1839.djvu/44&oldid=- (Version vom 28.9.2024)