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über einen gewonnenen Sieg? Der Kampf der Selbstvernichtung ist immer ein widerlicher, seiner Natur, wie seinem Zwecke nach; aber bei Grandiosität des Charakters wird er, bei Einzelnen, wie bei Völkern, doch nie so, wie hier, in den niedrigsten Formen sich bewegen. Die Fluth der empörten Volksleidenschaften, der wilde Wahnsinn, der Alle gegen Alle zum brudermörderischen Kampfe treibt, kann er auch keine Achtung einflößen, doch Theilnahme wird er gebieten: aber von jenem wüsten, ideenlosen, durch gemeine Raublust und thierische Blutgier geleiteten Treiben kraftloser Faktionen, die um spanisches Land und Volk sich beißen, wie die Geier um gefallenes Aas, wendet der Beobachter mit Ekel und Verachtung sich ab.

Der wüthende Strom, der ein Land verwüstet, oft ist er still und friedlich an seiner Quelle und zarte Blumen sprossen und blühen sicher an der Wiege Dessen, dessen Fluth Häuser niederwirft und Bäume entwurzelt. Auch Spaniens verheerender Strom, siehe! hat eine lachende Heimath. Wie lieblich ist ihr Bild, wie bräutlich liegt sie da, die stolze Königsburg, und zu ihren Füßen hingestreckt die glänzende Hauptstadt mit ihrer Pracht, ihrem Reichthum, ihren Schätzen der Gelehrsamkeit und Kunst, ihren Freuden und ihren Festen! So alt wie Madrid, so alt ist Spaniens mit jedem Tage wachsendes Unglück. Jene furchtbaren Uebel, welche Auflösung, Tod und Verwesung in den spanischen Volkskörper trugen, sie haben in jener Akropolis ihren Ursprung; denn dort wurde das Regierungssystem geschmiedet, und dreihundert Jahre lang ausgeübt, welches es sich zur Aufgabe machte, mit dem Fanatismus und der Unwissenheit der Menge, den aufgeklärten und gebildeten Theil der Nation niederzuhalten, zu beherrschen. Es ist freilich das keine neue Erfindung; sondern es ist und war das probate Panaceum schwachköpfiger Tyrannei stets und überall. Jetzt reift dieser Saat die Frucht, und mit dem Unschuldigen ärndtet sie auch der Schuldige. Spaniens Thron war Jahrhunderte lang der erhabenste und absoluteste des Universums; wie ist er in den Koth gesunken! Glühende Kohlen bilden seinen Sitz, und unter seinem Himmel schwebt das Schwert an einem Haare. Herabgewürdigt zu einem willenlosen Spielball der Partheien sehen wir die höchste Autorität gehorsamen brutalen Militair-Chefs, und, um die elende Existenz zu fristen, die Königs-Macht zu der äußersten Schmach sich bequemen: der Schmach, den offnen Ungehorsam loben zu müssen und zu belohnen. Von Niemand gefürchtet und von Allen verachtet, scheint sie vom Schicksal nur noch geduldet zu werden, um dem Lande das letzte Mark auszusaugen, den sozialen Auflösungsprozeß zu beschleunigen, und, wenn das Maas ihrer entsetzlichen Wirksamkeit voll ist, um so schrecklicher zu enden. Kaum erstreckt sich des Thrones scheinbare Herrschaft noch über das Weichbild der Hauptstadt hinaus, und die Delegaten der königlichen Gewalt, wie Eintagsfliegen kommen sie mir vor, die im letzten zuckenden Strahl der untergehenden Sonne flackern, um im nächsten Augenblicke zu verschwinden. Wer nennt noch jene täglich wechselnden Lenker von Spaniens Geschick? Sie kommen und treten ab; kein Mensch fragt mehr, wer sie sind, und wer sie gewesen. –

Ich habe Madrid auf einem früheren Blatte dieses Werkes beschrieben, und auch das Schloß hat der Leser mit mir schon einmal durchwandert. Nur jenes alte, große, klösterliche, neu aufgefrischte Gebäude im Vordergrunde

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Sechster Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1839, Seite 29. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_6._Band_1839.djvu/37&oldid=- (Version vom 28.9.2024)