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CCLXXXII. Der Cölner Dom.




Haus Gottes, du ehrwürdig Denkmal deutscher Kraft und deutschen Geistes, sey mir gegrüßt in deiner Majestät! Wer kann dich anschauen ohne Schauer der Ehrfurcht? Wer an dir vorübergehen, ohne die Idee zu bewundern, die dich in’s Leben rief und der kühnen Bauleute zu gedenken, die deinen Riesenleib himmelan richteten? Ha! wenn du vollendet das schlanke Haupt in die Wolken recktetest! Aber nicht die Baumeister haben, die Zeit hat dich verlassen. –

Die erste Idee zu Cöln’s Riesendome gehört dem Erzbischof Conrad von Hochsteden, einem Manne von hochstrebendem Geiste, der, als 1248 die alte Domkirche nieberbrannte, den Plan faßte, an ihrer Stelle dem Herrn einen Tempel aufzurichten, größer und herrlicher als alle Gebäude der Welt; denn 500 Fuß lang und im Schiff 180, im Kreuz aber 290 Fuß breit sollte er werden, die Dachfirsten sollten sich 209 Fuß über den Boden erheben, zwei kolossale Thürme, jeder auf einer Unterlage von 10,000 Geviertfuß 520 Fuß hoch emporsteigen und das Gebäude zieren. Selbst die Peterskirche in Rom erreicht solche Verhältnisse nicht, und niemals hat man an die Ausführung einer solchen Idee wieder Hand angelegt.

Nicht blos in ganz Deutschland, in der ganzen Christenheit wurde für den Cölner Dombau gesammelt und der Pabst verkündigte den Beitragenden vollkommene Sündenvergebung für 1 Jahr und 40 Tage. Darauf strömten die Gaben so reichlich herbei, daß noch in dem nämlichen Jahre, unter der Leitung Meister Gerhards, des Steinmetzen, 5000 Arbeiter beschäftigt und am 14. August 1248 der Grundstein gelegt werden konnte. Rasch schritt in den ersten Jahrzehnten der Bau voran, und die fromme Begeisterung, durch immer neue Ablaßverkündigung gespornt, ließ es an Geld dazu nicht gebrechen; inzwischen traten noch vor dem Schluß des Jahrhunderts Fehden zwischen der Stadt und dem Erzbischof ein, und das angefangene Werk erfuhr große Störungen. Ueber 20 Jahre stockte darauf der Bau gänzlich. Doch in dem ersten Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts ward er neu aufgenommen, und er gedieh so weit, daß 1322 der Chor eingeweiht werden konnte. Hundert und sechzehn Jahre lang wurde sodann fortgebaut ohne Unterbrechung und 1435 konnte man in dem einen Thurm die Glocken aufhängen. Nun stockte der Bau von Neuem. Im Laufe so langer Zeit erkaltete die Begeisterung, immer spärlicher flossen die Einnahme-Quellen, welche man zur Bestreitung der Baukosten hergeleitet hatte, viele versiegten gar und die Zahl der Arbeiterhände wurde kleiner von Jahr zu Jahr. Im folgenden Jahrhundert gelangten das Schiff, bis zur Capitalhöhe die Nebengänge zur Vollendung, die eine Halle wurde gewölbt und der nördliche Thurm so weit fortgebaut, um mit jener in Verbindung gebracht

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Sechster Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1839, Seite 221. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_6._Band_1839.djvu/229&oldid=- (Version vom 8.10.2024)