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von einander trennte, wie durch ihre rauhen Grenzgebirge die Natur sie von einander geschieden; zweier Reiche, die eine ganz verschiedene Landesverfassung haben, zu der sich noch die Eifersucht der Norweger gesellt, den König nicht in ihrer Mitte, sondern im gehaßten Nachbarlande wohnen zu sehen; – ein Vorzug, welcher von keinem Volke in ähnlichen Verhältnissen mit solchem Widerwillen geduldet wird, als von jener stolzesten, freisinnigen und aufgeklärtesten Nation des Nordens.

Bernadotte erreicht den 26. Januar sein 76tes Jahr. Die Aeltern dieses großen Monarchen waren arme Handwerksleute in Pau (südwestl. Frankreich), die ihren Jungen nothdürftig schreiben und lesen lernen, und dann bei der Profession mit zur Hand gehen ließen. Ohne Aussicht in die Zukunft, niedergebeugt von der älterlichen Armuth und Zeuge ihres täglichen Kampfes um die Mittel zur Fristung des Lebens ging Bernadotte im sechzehnten Jahre unter die Soldaten; er trat als Gemeiner in ein französisches Linien-Infanterie-Regiment. Schule und Erziehung hatten nichts an ihm gethan; Schicksal und fester Wille aber holten bei dem reichbegabten Jüngling das Versäumte nach. Durch Pünktlichkeit und Eifer im Dienste, und durch leutseliges und dienstfertiges Betragen erwarb er sich die Zufriedenheit und Aufmerksamkeit seiner Obern zugleich mit der Liebe seiner Cameraden, und frei von soldatesker Rohheit wendete er jede übrige Stunde an, sich zu unterrichten und das zu lernen, was ihn auf der eingeschlagenen Bahn vorwärts bringen konnte. Lange Zeit half er seinem Sergeanten bei den Schreibereien unverdrossen und ohne Lohn, und erst nach 8 Jahren musterhaften Dienstes erstieg er die erste Staffel der militärischen Würden: die des Korporals. – Die Revolution fand ihn als Unteroffizier bei seinem Regimente. Aber durch die Revolution waren die Schranken gefallen, welche Geburt, Rang, Ansehen und Reichthum dem aufstrebenden Talente im Staatsdienste gesetzt hatten. Die Natur trat mit ihren Kräften wieder ein in die ihr von jenen geraubten Rechte, und dem Talent und Genie war weit geöffnet die Laufbahn, auf der sie frei streben und ringen durften nach dem Größten und Höchsten, was die bürgerliche Gesellschaft zu bieten hat. Bernadotte, welcher es, geschmiedet an die Schranken der aristokratischen Verhältnisse, in 10 Jahren nicht weiter als bis zum Korporal hatte bringen können, stieg, von dem Genius der Revolution befreit und gewürdigt, rasch im Heere und auf den Schlachtfeldern von Grad zu Grad. Schon 1792 sehen wir ihn als Bataillonschef unter Cüstine mit Auszeichnung fechten, und die Armeeberichte nennen seinen Namen öfters unter denen der Tapfersten. 1793 commandirte er als Obrist eine Brigade; Kleber machte ihn auf dem Schlachtfelde zum General; in der Schlacht von Fleurus befehligt er eine Division und entscheidet den Sieg. – Inzwischen hat Bonaparte’s Genie seinen Adlerflug begonnen. Nach Italiens Ebenen, wo sich der Kampf der alten mit der neuen Welt entscheiden soll, hat ihn die Republik an die Spitze ihrer Heere als Obergeneral gesendet. Dort findet Bonaparte Bernadotte als Divisionair. Jener große Mann, der sich so gut darauf verstand, den Werth der Menschen zu erkennen, zu beurtheilen und ihre Fähigkeiten zu benutzen, schenkte Bernadotte

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Sechster Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1839, Seite 199. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_6._Band_1839.djvu/207&oldid=- (Version vom 8.10.2024)