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besetzt und durch kostbare Monumente und Standbilder schwedischer Regenten und Männer geziert, welche sich um das Vaterland verdient machten, und Schwedens Ruhm und Glück beförderten. Die Einwohnerzahl ist dem Umfang der Stadt kaum angemessen; sie erreicht nicht 100,000. Das rauhe, naßkalte Klima scheint unverträglich mit dem Luxus und der Weichlichkeit einer gebildeten Königsstadt zu seyn, und beide üben auf das physische Leben einen nachtheiligen Einfluß aus. Die Anzahl der Sterbefälle übersteigt die der Geburten in Stockholm jährlich um mehre hunderte. Daß trotzdem die Bevölkerung, obschon nur langsam, zunimmt, erklärt sich aus den häufigen Ansiedelungen aus dem Innern des Landes in die des Genusses und des Erwerbs so viel und so mannichfaltig darbietende Hauptstadt.

Unter den durch Pracht, Größe oder Zierde ausgezeichneten Gebäuden Stockholms ist die Hauptkirche eben so ehrwürdig durch ihr Alter, als sehenswerth wegen der Originalität ihrer Bauart und ihres Bilderschmucks, der Werke der größten Künstler des Landes. Die deutsche Kirche, die finnische, die Gebäude der Reichsbank, die Münze, das Ritterhaus, der Torstensohn’sche Pallast auf der Norrmalm, das Opernhaus, die auf der Zinne eines Felsen gelegene Sternwarte, die Kirche des Ridderholm mit 5000 eroberten Fahnen und den Grabmälern der schwedischen Kriegsfürsten und Helden, die Stückgießerei, das Freimaurerhaus u. v. a. verdienen den Besuch jedes Fremden. Den Glanzpunkt Stockholms aber macht das auf einem großen, freien Platze am Meere stehende prächtige königliche Schloß. Die Ansicht der Hauptfronte schmückt als Vignette den Titel dieses Bandes.

Carl XII. fing es, nachdem die alte Residenz 1697 durch Feuer zerstört worden war, zu bauen an. Die vielen Kriege dieses Fürsten unterbrachen aber das Werk mehrmals und auf lange Zeit, und die Vollendung erfolgte erst im Jahre 1753. Großartig und wahrhaft königlich gedacht, geschmackvoll und regelmäßig gebaut, lassen sich wenige Residenzen in Europa mit ihm vergleichen. Nach der Seeseite hinaus liegen die schönen Bildergallerien und die prächtigen Audienz- und Gesellschaftssäle. Sie sind im neuesten Geschmack mit schwedischen Arbeiten möblirt, die Wände tapezirt mit schweren Seidenstoffen aus schwedischen Fabriken.

Hier wohnt Carl Johann, ein Heros des Schicksals, der merkwürdigste unter den lebenden Fürsten. Er ist der Nestor der europäischen Könige; aber rasch, gewandt und in gerader Haltung schreitet er noch einher, und unverändert geht dieser rüstige Greis, den das nordische Klima frisch erhält, durch die Zeit, begleitet von allgemeiner Liebe.

Es ist gewiß für eine neue Dynastie, welche der nordischen Natur so fremd war, eine große Aufgabe, die übereinstimmende Zuneigung zweier Reiche zu erwerben und sich auf die Dauer zu erhalten; zweier Reiche, die in ihren Sitten, in ihren Ansichten über die gesellschaftlichen Verhältnisse und über National- und Staats-Bürgerrechte so verschieden sind; zweier Reiche, die ein tief eingewurzelter Nationalhaß schon lange so schroff und so scharf

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Sechster Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1839, Seite 198. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_6._Band_1839.djvu/206&oldid=- (Version vom 8.10.2024)