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CCLXV. Der Plauen’sche Grund bei Dresden: Tharand.




Manche Gegenden gelten als irdische Paradiese gewissermaßen durch Privilegium. Auch der Plauen’sche Grund hat den Vorzug, von allen Reisenden als ein Eden geschildert zu werden. Man darf ihnen auf’s Wort glauben; nur muß man es mit dem Begriff nicht so genau nehmen. Der Plauen’sche Grund, von Dresden bis Tharand, ist gewiß eine der reizendsten Gegenden Sachsens. Das 3 Stunden lange Felsenthal, welches ein wildes Gebirgswasser, die Weiseritz, durchströmt, bietet eine außerordentliche Mannichfaltigkeit der Szenen dar. Hier starren nackte Felsen empor; dort breiten sich mit Laub- und Tannengehölz geschmückte Berge in sanften Abhängen aus; hier rauschen Mühlen; dort pochen Hammerwerke, und wo sich das Thal erweitert, lagern sich freundliche Dörfer an Weingeländen hin. Auch für den Erdkundigen, den Geologen und Geognosten, ist die Gegend interessant. Neptunische Gewalten von unbegreiflicher Kraft müssen das Thal vor Jahrtausenden gewühlt haben; das bezeugen die senkrechten Durchschnitte, seine phantastischen Krümmungen, die Massen von zertrümmerten Gebirgen, Wäldern, Landthieren und Seegeschöpfen, welche zu beiden Seiten auf dem Urfels (Sienit) aufgeschichtet sind. Die Reste der hier zusammengeschwemmten Wälder formiren mächtige Steinkohlenflötze, welche um Potschappel und Gittersee bis zu einer Tiefe von 500 Fuß in schwunghaft betriebenen Gruben aufgeschlossen sind, welche einen großen Theil Sachsens (mittelst der Eisenbahn selbst bis über Leipzig hinaus) mit jenem täglich unentbehrlicher werdenden Brennmaterial versorgen.

Schon ¼ Stunde von Dresden, beim Dorfe Plauen, am Eingang des Grundes, tritt dessen Charakter hervor, in welchem sich das Heitere mit dem Ernst des Erhabenen vereinigt. Von der Höhe des Fußsteigs sieht man rückwärts noch einmal auf das sonnige Elbthal und die Hauptstadt, welche sich am Fuße einer Hügelreihe mit Weinbergen und Landhäusern ausstreckt; aber welcher Wechsel nach wenigen Schritten! Statt der lachenden Landschaft ist eine jähe düstere Schlucht geöffnet und zwischen nackten Felsenwänden windet sich ein Pfad steil und schmal in die schauerliche Tiefe hinab. Wer ihm zu folgen sich scheut, der kann die bequeme Heerstraße tiefer im Grunde einschlagen, welche ihre besondere Reize hat und an der Villa Grassi vorbeiführt, wo der berühmte Maler dieses Namens die letzten Jahre eines Lebens der Natur und der Kunst widmete. Jetzt ist die schöne Anlage eine

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Sechster Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1839, Seite 143. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_6._Band_1839.djvu/151&oldid=- (Version vom 7.10.2024)