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Philipp’s Ablaßbrief nannten’s die Spötter des Fürsten. Anlaß zu seiner Erbauung war ein Gelübde. Philipp hatte nämlich in seinem Kriege mit den Franzosen den letztern am Laurentiustage 1557 bei St. Quentin eine Schlacht geliefert. Tapferkeit war nie eine Eigenschaft jenes Königs. Während der Schlacht ließ er sich von seinem Beichtvater Messe lesen und betete. Als der Sieg für ihn entschieden war, sagte er: „Das danke ich dem Heiligen des Tags; ich habe ihm was dafür gelobt und will es halten, so wahr ich selig zu werden gedenke!“ Das Eskurial ist das jenem Gelübde und jenem Siege errichtete Denkmal. Der Bau kostete die Summe von 5 Millionen Dukaten; nach gegenwärtigem Geldwerth über 45 Millionen Thaler. Er beschäftigte 15 Jahre lang 12,000 Menschen.

Dieser größte Palast Europa’s liegt sechs Meilen nordwärts von Madrid in einer wasserarmen und ziemlich öden Gegend. Er bildet ein Viereck, wovon jede Seite 740 Fuß lang ist. Auf diesem ungeheuern Raume umschließen die, schachbretartig und in sich durchkreuzenden Linien geordneten Gebäude 22 große, innere Höfe. Die vordere Fronte mit den drei Haupteingängen nimmt das Kloster ein. 200 Mönche wurden hier, umgeben von fürstlicher Pracht, fürstlich gepflegt, bis sich vor 3 Jahren der Staat, in der äußersten Bedrängniß, des Klosterguts bemächtigte, als er alle Klöster aufhob. 900 Zimmer und Säle nimmt die königliche Wohnung ein. Bei aller Pracht und Verschwendung in kostbaren Baumaterialien und Verzierungen, sind diese Theile des Gebäudes doch kleinlich, gewissermaßen im Kasernenstyl, und geben Zeugniß von dem damaligen Sinken des Geschmacks. Aber überaus herrlich ist die Kathedrale, welche fast die ganze vierte Fronte einnimmt. Sie ist eine treue Nachahmung der Peterskirche in Rom und nicht viel kleiner als diese; ganz so groß als die Paulskirche in London. Das Dach des Hauptdoms ist vergoldet; Vergoldung deckt alle innern Räume und die herrlichsten Gemälde von den größten Künstlern damaliger Zeit schmücken die Decken. 48 Altäre sind eben so viel Meisterstücke der Kunst und die Verschwendung edler Metalle zu ihrer Ausstattung erregt Erstaunen. Den Hauptaltar von schwarzem Marmor und orientalischem Porphyr umgeben Heiligenstatuen von massivem Gold, oder Silber. Fußböden und Treppen des ganzen Gebäudes sind von Marmor und Jaspis, sogar die Höfe sind mit Marmor gepflastert.

Unter dem Hochaltare ist das Mausoleum der spanischen Könige. Dieser unterirdische Todtenpalast ist das Edelste, was in seiner Art jemals erdacht worden ist. Um eine Vorstellung davon zu erhalten, denke man sich das römische Pantheon in die Tiefe der Erde versetzt. Eine Treppe von schwarzem Marmor führt auf 60 Stufen hinab. Du siehst zwei Riesenpforten von vergoldeter Bronze vor dir; sie öffnen sich; du trittst ein in die ungeheuere Rotunda. Das Licht von 300 Kerzen strahlt an den mit geschliffenem Jaspis, Calzedon und Gold aufgelegten Wänden und Decken wider; geblendet bist du; nur allmählich lernt dein Auge den Abglanz so vieler Pracht ertragen. Rundum in 26 Nischen und zwischen herrlichen Säulen sind sechs und zwanzig Sarkophage von schwarzem Marmor, mit

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Sechster Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1839, Seite 139. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_6._Band_1839.djvu/147&oldid=- (Version vom 5.10.2024)