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hervorgeschlagen. – Im Marmorbauche dieses Berglöwen, so geht die Volkssage, haust nun der gebannte Kaiser Friedrich der Rothbart, mit seinem Hoflager und seinen Heeren. In langen Zügen wallen die Schaaren der von ihm verfolgten und drangsalirten Mönche durch Erdklüfte unter Länder, Seen und Ströme hin nach den benachbarten Kirchen, und feiern in St. Bartholomai, in Gretig, im Münster Berchtesgaden’s, oder im hohen Dome Salzburg’s, zu stürmischer Mitternachtsstunde, unter Glockenklang und Orgelton, den Gottesdienst. Bei nahendem Kriege – so glaubt man – schalle tief aus dem Innern des Berges Waffengeklirre und Pferdetrappeln und oft schon sah der am späten Abend heimkehrende Aelpner aus den Spalten des Berges wilde Ritter und Knappen stürmen, auf schnaubenden Rossen, in glühenden Panzern und Flammenschwerter in den Fäusten; – luftiges Schauergesindel, das der erste Hahnruf wieder in den Berg zurückscheucht: denn mit dem ersten Grauen des Morgens schließen seine ehernen Pforten. Erst an jenem furchtbaren Tage, da, nachdem Unglaube und selbstsüchtige Gewalt den höchsten Grad erreichten, sich die Völker wie die Winde aneinander drängen werden, um auf der weiten Ebene von Wals eine allgemeine Völkerschlacht zu wagen, soll dem verbannten Kaiser mit seinen Heeren die Erlösungsstunde schlagen; im entscheidenden Augenblicke wird er dann plötzlich herausstürmen, der guten Sache zum Siege zu verhelfen!

Dieß die Legende vom verrufenen Unterberg. –

Die Pröbste von Berchtesgaden führten einen sanften Scepter, und die geistlichen Herren hatten dabei gute Tage. Nur ritterbürtiger Adel konnte in den beneideten Kreis der Chorherren gelangen. Jedes Jahrhundert sah durch Vermächtniß und Schenkung die Güter des Stifts sich vermehren und seine Einkünfte verdoppeln. Das erste Unglück, welches die Abtei traf, war in Folge einer Fehde zwischen Salzburg und dem Herzog Friedrich von Bayern (1382), dessen wilde Schaaren gräßlich hausten, so daß die Altäre zu Krippen gemacht, die Gebeine der Heiligen aus ihren Särgen gerissen und zerstreut, die Kirchenschätze geraubt wurden, und Mönche und Nonnen sich in die Höhlen der umliegenden Berge flüchten mußten. Indessen zog diese Wetterwolke doch bald vorüber, und zum höchsten Glanz gelangte Berchtesgaden, als es (im J. 1455) von Salzburg’s geistlicher Obermacht befreit und unter unmittelbare Obhut des Papstes gestellt wurde. Weltlicher Schirmherr war Oesterreich, und zum Dank spendeten ihm die Pröbste jährlich 2 Leithunde und 2 Falken nach Wien.

Mit der Reformation, deren Morgenroth den Stern so vieler geistlicher Stifter erblassen machte, neigte sich auch der von Berchtesgaden. Im Bauernkriege schlugen auch die Aelpner mit drein. Wie Heuschrecken über die blühende Saat, fielen die rohen, zügellosen Gesellen über das Hochstift her, jagten die infulirten Herren von dannen, verbrannten ihre Bibliothek und die Urkunden und plünderten das Hochstift rein aus. 6 Wochen lang wirthschafteten die Bauern in tollem Uebermuthe und zogen nicht eher ab, als bis das letzte Faß im letzten Keller geleert war. Der Probst hatte die werthvollsten Kostbarkeiten in einen Fischteich versenkt. Es wurde verrathen. Der Teich wurde abgelassen und der kostbare Fisch vertheilt. Als endlich die Bauern abzogen, steckten sie die Abtei in Brand. Von diesem doppelten Unglücke erholte sich das Stift nicht wieder. Ein kostbarer Wiederaufbau

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Sechster Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1839, Seite 92. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_6._Band_1839.djvu/100&oldid=- (Version vom 20.11.2024)