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charakterisirt. Auch der Mensch kann von dem Einfluß derselben sich nicht frei halten, und selbst der Vielgereiste, der alle Welttheile gesehen, er wird immer wieder daran erinnert, wie seines Vaterlandes Genius ihn mit unvergänglichen Farben angehaucht hat, wie Bild und Wesen der Heimath seine Seele durchschimmern, wie die Heimath gleichsam die Hieroglyphen-Schrift seines Gemüthes geworden ist, die er mehr und mehr entziffert, je schärfer er beobachtet, je tiefer er einsieht, daß Schicksal und Gemüth Namen eines Begriffs sind.

Ich sah manches Land und habe unter mehr als einem Volke gelebt. Ich habe die lebendige Natur in ihren großartigsten und reizendsten Erscheinungen, die gefeiertsten Werke der Kunst aller Zeiten und Menschen mit dem innern, geistigen Auge erschaut und beschrieben. Dennoch (warum sollte ich es nicht sagen?) hat ein Bild aus der Heimath immer am meisten auf mich gewirkt. Jedes neue Blatt vaterländischer Ansichten erfüllt mich mit Liebe, erhebt mich zum lebendigen Anschauen; es läßt mich nie ohne Theilnahme, ohne Genuß und Offenbarung. Ich begrüße ein solches Bild stets wie man einen alten Bekannten begrüßt: mit neuer Freude. – So auch diese Trümmer einer hohen Rheinburg.

Fürstenberg liegt am linken Ufer des Stroms, zwischen Bingen und Coblenz. Ein schmaler Fußsteig schlängelt sich bald durch Weingärten, bald durch Gestrüpp und Felsschluchten, in welchen ein scharfer Wind saust, den Berg hinan. Oben sehen wir uns vor einem geräumigen Platze, auf welchem einige verfallene Mauern und ein Thurm von gewaltiger Stärke hinter tiefen, halbverschütteten Gräben stehen. Junges Gebüsch schlingt sich um der Raubveste uralte Mauern, wie ein jugendlicher Kranz um das Silberhaupt eines Greises. Wir glauben in die Unermeßlichkeit der Zeiten zu sehen und meinen, die weitesten Zeiträume der Geschichte in kleine, glänzende Minuten zusammen gezogen zu erblicken, wenn wir des Gemäuers graues, bemoostes Gestein, seine blitzähnlichen Risse und seine hohen, schaurigen Gestalten betrachten. So zeigt uns der Himmel unendliche Räume in dunkles Blau gekleidet, und wie milchfarbene Schimmer, so unschuldig, wie die Wangen eines Kindes, die fernsten Heere seiner schweren, ungeheuern Welten. – –

Ehe wir in das durch Sturm und Zeit weit ausgebrochene Thor in das Innere der Ruine treten, fesselt uns der Zauber einer zwar nicht weiten, aber lieblichen Aussicht. – Gegenüber auf der rechten Rheinseite liegt der Flecken Lorich mit seiner stattlichen gothischen Kirche und mit seinen hohen Thürmen; die bewaldeten Bergwände spaltet eine tiefe, düstere Schlucht; es ist die der Wisper, welche dem Rheine zuströmt. Dicht über der Stadt prangt die Ruine des Schlosses Friedberg auf einer Anhöhe, und Bacharach mit seinem schönen Stahleck auf der einen Seite, auf der andern Nieder-Heimbach, ein freundlicher Flecken, begränzen die malerische Vista.

Die Geschichte Fürstenbergs hat merkwürdige und interessante Momente. – Im eilften Jahrhundert von den rheinischen Pfalzgrafen erbaut, artete, nach dem Tode des thatkräftigen, von dem raub und fehdelustigen

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1838, Seite 65. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_5._Band_1838.djvu/73&oldid=- (Version vom 25.8.2024)