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CLXXXXII. Die Stammburg Nassau.




Von unzähligen Keimen kommen immer nur einzelne zur Entwickelung. Tausend und hundert tausend Eicheln, deren jede die Saat eines Waldes in sich trägt, vermodern spurlos, bis eine sich Boden und Luft genug gewinnt, um heranzuwachsen zum kräftigen Baume. So ist’s auch mit dem Emporkommen des Menschen. Es gibt Millionen, die, ohne Erziehung, Bildung und Unterricht, in ihrem Leben nicht einmal zum kleinsten Anspruch auf Auszeichnung gelangen, habe die Natur sie noch so reich ausgestattet. Tausend Andere vereinigen mit den Anlagen die nöthige Bildung: dennoch haben sie keine Laufbahn, weil die Verhältnisse und Umstände ihnen entgegen sind. Und sind diese auch günstig, so reicht das nicht aus: – denn ohne Glück ist kein Gelingen. Viel seltner aber, als das glänzendste Gelingen, ist jene Treue des Glücks, gleichsam das Vererben desselben von Geschlecht auf Geschlecht, welches Familien von Stufe zu Stufe bis in den engen Kreis führt, der die Kronen der Erde unter sich getheilt hat. Das Naturgesetz, welches dem allmählig Entwickelten die längste Dauer verheißt, scheint, wie die Erfahrung lehrt, auch hier seine Anwendung zu finden. Jene Seltenen, die, durch Kraft und Genie, von der niedrigsten Stufe sich bis zur höchsten hinauf geschwungen, die Cromwell’s und Napoleone, verstanden nie die Kunst, dem Glücke Beständigkeit abzuringen, und die Versuche, ihren Nachkommen zu erhalten, was sie im Sturmschritt erobert, waren fast immer mißlungene. Zum dauernden Emporbringen der Familien sind weder große Charaktere, noch große Katastrophen absolut nothwendig. Jenes ist nicht Sache des Genies, sondern vielmehr einer, – durch Maximen leicht zu vererbenden – zähen Klugheit, welche es versteht, die Verhältnisse, wie sie sich auch darstellen mögen, für sich zu benutzen, mächtige Interessen mit ihrem Vortheil zu verknüpfen, und die ihnen oft selbst gebrechenden Kräfte in Andern für sich thätig seyn zu lassen.

An Beispielen von Familien, welche, niedrigen, oder obscuren Ursprungs, im Laufe der Jahrhunderte sich bis zu erblichen Kronenträgern emporarbeiteten, ist keine Geschichte reicher, als die deutsche. Wer Belege fordert, mag sich die Frage: wer und was waren die Stammväter der meisten Könige und Fürsten Europas? beantworten.

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1838, Seite 21. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_5._Band_1838.djvu/29&oldid=- (Version vom 10.10.2024)