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Capstadt liegt dicht unterm Tafelberge, an der weiten Bay, die von jenem seltsam geformten Felsenriesen den Namen entlehnt. Neben der Masse des fast 4000 Fuß hoch und senkrecht aufragenden Tafelbergs verschwindet gleichsam die Stadt, und ihre schönen und großentheils ansehnlichen Gebäude, welche sich amphitheatralisch über einander reihen, sehen, sammt den Citadellen auf den benachbarten Höhen, in größerer Entfernung wie Schwalbennester aus. Erst wenn der Riese dem Auge so nahe ist, daß es ihn nicht mehr ermessen kann, erst in der Stadt findet sich der rechte Maßstab wieder, und der Reisende ist erfreut, einen der schönsten und freundlichsten Orte der Erde zu finden. Die Straßen sind breit, regelmäßig, gerade; die Häuser 2 und 3stöckig, groß und stattlich. An den sehr breiten und hohen Trottoirs stehen schattende Eichen, die jede Straße zu einem vor der südlichen Sonne geschützten angenehmen Spaziergang machen. Die städtische Bevölkerung nahm unter der Herrschaft der Engländer um mehr als das Doppelte zu, und übersteigt 22,000 Personen, die in 1800 Häusern wohnen. Der Abstammung nach ist zwar fast die Hälfte der Bewohner holländisch; aber brittische Sitten und Lebensweise haben ganz das Uebergewicht gewonnen, und wenige Colonialstädte sind mehr englischen Ansehens, als die heutige Capstadt. Die Märkte zieren, wie in London, in der Mitte Gärten; Kaffeehäuser, Gasthöfe, Clubs, Vergnügen, Alles ist wie in Alt-England. Selbst Theater und die Wettrennen fehlen nicht. Das herrliche Klima macht die Capstadt für die englischen Beamten und für die begüterten Privatleute in Ostindien zu ihrem Montpellier, und man trifft deshalb immer eine große Anzahl gebildeter Fremden an, welche der Geselligkeit und der Unterhaltung Lebendigkeit, Geist und Mannichfaltigkeit verleihen. In den gesellschaftlichen Kreisen der Capstadt wird jeder leicht vergessen können, daß er sich auf der fernsten Küste Afrika’s befindet.

England bewacht dieses Hauptthor seines Reichs in Indien und in den Australländern mit 1500 Mann europäischer Kerntruppen, welche es alle 2 Jahre ablöst. Mit großem Aufwande hat es die Erweiterung der Festungswerke gefördert und den Platz unangreifbar gemacht. Ueberdieß ist jeder erwachsene Einwohner, sowohl in der Stadt, als in den sich jährlich mehr bevölkernden und weiter ausdehnenden Niederlassungen vollständig bewaffnet und auf das Gebot des Gouverneurs zum Milizdienst verpflichtet. Diese Einrichtung setzt die Colonie in den Stand, binnen 8 Tagen ein kleines Heer von 8000 Mann aufzustellen, das mehr als hinlänglich ist, um irgend einem Feinde, der sich hier zeigen könnte, die Spitze zu bieten.

Die steilen Anhöhen im Rücken der Stadt hat holländischer und brittischer Fleiß in Gärten verwandelt, und auf einer derselben, dem Constantia-Berge, wächst ein Wein, dessen Vortrefflichkeit Weltberühmtheit erlangte. Auch er ist eine Frucht von dem Widerruf des Nanteser Edikts; die ersten Weinpflanzer waren französische Protestanten.

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1838, Seite 17. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_5._Band_1838.djvu/25&oldid=- (Version vom 24.8.2024)