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unbemittelte Yorghi; aber jener lehnt die Wahl ab, umarmt Yorghi und nennt ihn den Würdigern. Einstimmig wird nun Yorghi als Insurrektionschef begrüßt! So ward der schlichte Bauer in wenig Tagen der Mann, in dessen Händen die Zukunft eines Volkes lag.

Yorghi begriff vollkommen alle Pflichten, die ihm seine Stellung auferlegte. Das Genie bedarf keinen andern Lehrmeister, als die Umstände. Yorghi dekretirte die Organisation des Heers, und setzte in einem Senate die oberste Verwaltungsbehörde ein. Sich selbst sprach er diktatorische Gewalt zu, zugleich gelobend, sie nur zur Befreiung des Vaterlandes zu gebrauchen und in den Stand des schlichten Bürgers zurück zu treten, sobald das Ziel errungen sey. Mit dem improvisirten Heere ging er dann gerade auf Belgrad los, wo sich die durch den allgemeinen Aufstand gefährdeten Truppen der 4 Pascha’s zu einer ansehnlichen Streitmacht zusammen gezogen hatten. Mit unbeschreiblicher Kühnheit wagt er sogleich nach seiner Ankunft den Sturm auf die starke Festung. Er wurde abgeschlagen. Aber jeder Tag fast sah ihn erneuern. Endlich siegte die Begeisterung über die tapferste Gegenwehr: Yorghi, der Diktator, zog ein in das eroberte Belgrad. Drei der tyrannischen Pascha’s (der vierte war bei der Belagerung geblieben) gingen in Fesseln vor ihm her; er ließ sie zum Marktplatze führen und da enthaupten zur Sühne für so viel von ihnen grausam vergossenes Blut. Dann proklamirte er eine allgemeine Amnestie für ihre Verwandte, Freunde und Anhänger; die Köpfe der Enthaupteten aber schickte er nach Constantinopel zum Sultan, und bat um dessen Schutz und Garantie für das Land zu einer künftig bessern und glücklichern Verwaltung.

Sultan Selim sandte 12 Commissarien, um die Zügel der Regierung zu ergreifen und die Ordnung wieder herzustellen; gab aber auf das Begehren Yorghi’s eine blos ausweichende Antwort. Das Benehmen und die Handelsweise der Commissarien, die ihre Arbeiten mit dem Erheben rückständiger Steuern begannen, fachte Mißtrauen und Unzufriedenheit von neuem an. Das Volk, noch die Waffen in der Hand, schrie über halbe Maßregeln und forderte laut die Unabhängigkeit von Constantinopel. Am Ende stieg die Erbitterung so hoch gegen die Commissarien, daß man ihre Gefangennehmung und Hinrichtung verlangte. Vergeblich suchte Czerny abzuwehren. Er mußte nachgeben. Die Köpfe der Commissarien wanderten nach Constantinopel, wie vor ihnen die der drei Pascha’s.

Selim, entrüstet, bot die ganze Heeresmacht seines Reichs zum Zuge gegen Servien auf. 70,000 Türken überflutheten verwüstend das arme Land. Mit Erfolg versuchten sich die weit schwächeren Servier in mehren Treffen gegen die Ueberzahl. Doch wurden sie endlich genöthigt, sich in die Festungen zurückzuziehen und in den Gebirgen den kleinen Krieg zu treiben, der mit der größten Kühnheit Jahre lang fortgesetzt wurde. Yorghi, in Belgrad belagert, wehrte mit unerschütterlichem Muthe tägliche Angriffe ab, und bekannte öffentlich seinen Entschluß, sich unter die letzten Trümmer

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1838, Seite 205. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_5._Band_1838.djvu/213&oldid=- (Version vom 9.9.2024)