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mannichfaltig und köstlich, den kriegerischen Charakter des Volks, der den Gesichtern aller Servier unverkennbar eingeprägt ist, verrathend, sind in Menge zu haben. Die berühmten Festungswerke sogar verfallen; streckenweise bilden sie wahre Ruinen, welche die Stadt mehr beengen und verpesten, statt sie zu schützen. So zeigt sich deinem entschleierten Blicke die erste Stadt des Ostens. –

Dein Führer, gemeinlich ein alter Jude, bringt dich in dein Quartier. In der Wirthsstube kauern, in pferchähnlichen, durch Lattenwerk getrennten Abtheilungen beturbante Türken auf schmutzigen Polstern, oder Matten; der eine seinen Kaffee schlürfend und die Pfeife schmauchend, der andere Früchte essend, oder, seinem Nachbar zuhorchend, der, aufrecht stehend, in einer Hand die Pfeife und mit der andern gestikulirend, unbekümmert um dich und alle übrigen, Thaten oder Mährchen erzählt. Du versuchst es, dich in der Landessitte zu postiren, kauerst dich linkisch auf die Matte, und hältst bei den neben dir auf dem Boden servirten Melonen, denen Kaffee und Pfeife folgen, das unbequemste Mahl in deinem Leben. Ein Dolmetscher des Pascha erscheint: dir, dem wie auf Kohlen Sitzenden, ist er wie ein Erlöser. Es ist ein guter Osmanli nach altem Styl, mit silberbeschlagenen, ellenlangen Pistolen, Dolch und Yataghan im gestickten Gürtel. Er fragt dich über den Zweck deiner Reise und hört deine Antwort mit ernstem Schweigen, und wenn du ihm unverdächtig erscheinst, fragt er nicht weiter und geht von dannen. Nun erst erscheint der Wirth in eigner Person und weist dir ein abgesondertes Gemach im obern Theile des Hauses an. – Die besten türkischen Gasthäuser in Belgrad haben recht anständige Zimmer, geziert mit bemaltem, hölzernem Getäfel, oft mit altfränkischer Leistenvergoldung. Ein Divan mit Seegras, selten mit Haaren, aufgepolstert und mit großblumigem Zeug überzogen, nimmt fast die Hälfte des Bodens ein. Dieser Polster dient zugleich als Tisch und als Bett. Der Wirth entfernt sich und läßt einen Diener zurück, der sich mit dem Fremden oft in einem halben Dutzend Sprachen nothdürftig verständlich machen kann, und der beauftragt ist, dir bei Besichtigung der Merkwürdigkeiten der Stadt als Cicerone zu dienen.

Die „Lions“ sind ein paar Moscheen, der Pallast des Pascha und die Citadelle; beide letztere sind nur auf Spezial-Erlaubniß des Commandanten zu besehen, welche aber ohne Schwierigkeit zu erlangen ist. Die Stadt selbst hat wenig große Privatgebäude, und diese sind hinter finsteres Gemäuer versteckt. Sie theilt sich in 4 Sectionen: in die Festung auf der Zinne des Felsens; die Wasserstadt, die den niedrigsten, schmalen Rand des Flußufers einnimmt, und die zwischen diesen beiden terrassenförmig über einander liegende Raizenstadt und Palanka. Keine Straße ist gepflastert, und die Spuren der Verwüstungen, welche sie in den häufigen Belagerungen erlitten, sind in den Schutthaufen und leeren Straßenräumen noch häufig sichtbar. Belgrad hat über 40 Belagerungen ausgehalten, und es hat die Herren mehrmals gewechselt. Prinz Eugen eroberte es und durch den Passowowitzer Frieden kam es 1718 an Oesterreich. 1739 eroberten es die Türken wieder, 1789 nahm es Laudon und 1791 fehrte es aus dsterreichischen Händen abermals in türkische zurück.

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1838, Seite 202. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_5._Band_1838.djvu/210&oldid=- (Version vom 9.9.2024)