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mächtige, wohlerhaltene Rittersitz. Nie vergesse ich den Anblick! Schon dämmerte der Abend in dem tiefen Stromthale, als bei einer Wendung des Nachens ganz plötzlich mein Auge durch eine Oeffnung der Berge auf die hohe Veste fiel. Breit warf die Sonne vom Abendhimmel ihren Abglanz auf sie, und aus allen Fenstern fuhren goldne Flammen.“ – –




CCXXXI. Belgrad in Servien.




– Während du noch schaust, führt dich mein Zauberstab auf den Hügel hinter Semlin, an dessen Abhang die Promenade sich hinzieht. Zu deinen Füßen liegen die Häuser der österreichischen Stadt, symmetrisch gruppirt, auf plattem Ufer; der majestätische Fluß, auf dessen grünen Wogen schwere Barken und hochmastige Schiffe schwimmen, dehnt mit seiner ungeheuern, durch die Vereinigung mit der Drau vermehrten Wassermasse bis zum Horizont sich aus, und jenseits, auf hohem Felsenborde zeige ich dir Belgrad, mit seinen Minarets und seiner festen Burg, von deren Zinnen der Halbmond schimmert. Da stehst du auf dem Grenzsteine des Abendlandes und vor der Pforte des Ostens! Die hölzernen, etagenweise hinter einander emporsteigenden Häuser von fremdartiger Form und mit den grünen Jalousien, die in der Sonne glänzenden Kuppeln der Bäder und Moscheen, die gruppenweise emporsteigenden, zierlichen, schlanken Säulengestalten der Minarets, führen dich in eine neue, fremde Welt, und träumerische Vorstellungen von ihrem Leben und ihrer Lust umtanzen deine Phantasie, wie Elfen und Sylphen. Ungeduldig eilst du hinab – ein Nachen mit beturbanten, langbärtigen Ruderern nimmt dich auf, und eine halbe Stunde später befindest du dich auf türkischem Gebiete und in den Straßen von Belgrad.

Du bist da und – enttäuscht: denn im Gassenkothe hat das Träumen bald ein Ende. Belgrad bezaubert, wie alle Städte des Orients, nur in der Ferne. In der Nähe betrachtet wird es um so widerlicher, je freigebiger die Phantasie ihm Schönheiten andichtete, welche die Wirklichkeit in keiner Beziehung zeigt. Die Häuser sind elend, verfallen, von der schlechtesten Bauart; die Gassen dampfen von Misthaufen und unerträglichem Gestank; eng sind sie, winklich und verworren; die Palläste stecken eingeschlossen in finstern Mauern; Läden und Bazars sind, in Vergleich zu den splendiden Waarengewölben christlicher Großstädte, dürftig, ja arm, sowohl in Auswahl, als Kostbarkeit der Güter; kaum die Gegenstände der ersten rohen Bedürfnisse an Kleidung und Zierrath sind in Menge vorhanden; Gegenstände des Luxus aber bestehen fast nur aus dem Ladenhüter des Westen. Blos Waffen, viel,

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1838, Seite 201. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_5._Band_1838.djvu/209&oldid=- (Version vom 9.9.2024)