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auszeichnet, ist der Centralpunkt die Cathedrale: – jenes mit 14 Thürmen geschmückte Gebäude, dessen breite Fronte den Hintergrund unsers Bildes ausfüllt.

Keine Kirche in der Welt, versichert der jüngste und geistreichste Beschreiber Spaniens[1], weder St. Peter zu Rom, noch der Dom zu Mailand, oder Strasburg, haben den religiösen Eindruck auf mich gemacht, den ich beim Eintritt in diese, kaum von einem geheimnißvollen Halblicht erleuchtete Wohnung des Höchsten fühlte. Hier ist Alles einfach, schicklich, würdig; keine Vergoldungen, keine erdrückende Masse von Verzierungen nach spanischer Weise: schlanke, zierliche Säulen von grauem Gesteine tragen die Bogen, die sich hoch über dir zu Riesengewölben verbinden. Die Bearbeitung des Gesteins zeugt von der höchsten Vollendung, und die Entbehrung des Schmucks, der sie nur verdecken würde, thut wohl. Der Boden ist ausgelegt mit Marmor, und im bunten Reflex der gemahlten Fensterscheiben erglänzend, macht er zu der Einfachheit der Wände einen gefälligen Contrast. Zwischen jedem Bogen glänzen Kapellen und blinken, mit goldenen und silbernen Leuchtern und Gefäßen besetzte Altäre. Es lesen stets mehre Priester zugleich hier Messe; der ungeheure Raum gestattet ihnen dieß, ohne sich einander zu stören; selbst die Töne der Orgel füllen ihn nicht aus, und die Stimmen der wenigen hundert Gläubigen, welche den Messen beiwohnen, verhallen so sehr, daß, ist man an einem andern Ende der Kirche, man sich allein glauben kann.

Nur die Zeit der Siesta, von Mittag bis 2 Uhr, feiert auch der Priester und die Kirche ist dann leer bis auf den hütenden Sakristan. Dann ist’s die rechte Zeit sie zu besuchen für Den, der ihren Eindruck ungestört in sich aufnehmen und genießen will. Schweigen erfüllt den Tempel; – das Schweigen der Majestät. Man weiß sich allein, und das wahre religiöse Gefühl wird wach, das bei prunk- und geräuschvollen Ceremonien erstirbt. Dann magst du von Kapelle zu Kapelle und von Altar zu Altar schleichen, und vor jedem im Kerzenlichte scheinenden Heiligenbilde, oder Reliquienschrein, beten, so fromm und Gott so wohlgefällig, als vor ihm selbst im stillen Kämmerchen, oder unter dem freien Himmelszelte, auf den Höhen der Berge, oder in sternheller Nacht.

Ich würde nicht enden, wenn ich alle Wunder beschreiben wollte, welche diese Kirche in sich schließt. – Für das Studium der maurischen Architektur – (sie war früher eine Moschee und ihre Errichtung im 9. Jahrhundert fällt in die Blüthenzeit der maurischen Kunst!) – ist sie, wegen der sorgfältigen und unentstellten Erhaltung ihrer meisten Theile, von großer Wichtigkeit. Als ein wahres Kleinod von Schönheit und Zierlichkeit ist der Kapitelsaal berühmt, dessen Oval, voll Anmuth und Originalität, mit der unschätzbaren Sammlung von zwanzig Murillo’schen Bildern geschmückt ist. Die Vorhalle mit den Grabmälern vieler spanischen Könige und Helden, die Holzschnitzereien am Thore, eine nicht anzugebende Zahl von herrlichen Skulpturen in Gold, Silber und Stein in den Kapellen und an den Altären, die Menge der Gemälde von den trefflichsten spanischen Meistern, machen diese


  1. St. Hilaire in der Revue de Paris.
Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1838, Seite 195. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_5._Band_1838.djvu/203&oldid=- (Version vom 9.9.2024)