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um der Gefangenen nacktes Leben. Mit ihm knieten und baten die Andern; flehentlich faßten sie den Saum des kaiserlichen Mantels und riefen um Erbarmen. Aber unbewegt und mit Hoheit sprach der große Kaiser die großen Worte: „Versucht es nicht, den Weg der Gerechtigkeit zu stören. Laßt die Räuber und Mörder ihren verdienten Lohn empfangen. Schmäht euch nicht damit, daß ihr sie Ritter nennt. Ein Ritter ist vor Gott und eurem Kaiser nur Der, welcher Treu und Glauben übt bis an seinen Tod; der den Frieden des Reichs hält, nicht ihn bricht; der den Bauer und Bürger schützt, nicht unterdrückt; der des Kaisers rechte Gebote ehrt, nicht sie mir Füßen tritt. Steht auf und wage Keiner wieder, was eben geschehen! So wahr ich Kaiser bin, und so wahr ich seyn will ein gerechter Richter: wären die, die ihr Ritter nennt, lauter Herzöge des Reichs, sie sollten doch der verdienten Todesstrafe nicht entgehen!“

Man hätte erwarten sollen, daß die ausgebrannten Raubnester in ihrem Schutt gelassen worden wären; aber unter Rudolfs Nachfolgern regte sich die Macht des Faustrechts wieder, und unter Carl dem Vierten wurde seine Herrschaft wieder so frech und unerträglich, als je zuvor. Jetzt waren es nicht mehr die Ritter allein, welche das Handwerk der Schwert-Zöllner aus ihren Raubnestern übten: die Fürsten am Rheine trieben’s in’s Große. Sie stellten die zertrümmerten Vesten wieder her und setzten ihre schlechtesten Gesellen hinein, mit denen sie die Wegelager- und Buschklepperei auf halbe Rechnung übten. Besonders waren es Mainzische Orte und Mainzische Reisende und Waarenführer, welche von den Burgen dieser Gegend gedrangsalt wurden. Ein Lehensmann des rheinischen Pfalzgrafen – Cunzmann von der Falkenburg – war bei der auf der Frankfurter Straße geschehenen Ermordung Friedrich’s von Braunschweig thätig, die ihm (1400) Verbannung aus dem Reiche zuzog.

Nach endlich fest aufgerichtetem Landfrieden wurde die Falkenburg verlassen, und nach und nach verfiel sie.

Da liegt sie nun, eine öde und wüste Ruine; und sie, der einstige Schrecken der Gegend, ist nur noch ihr Schmuck. Keine Spur von Leben rührt sich im weiten, mit Trümmer und Schutt bedeckten, und mit Buschwerk und Flieder überwachsenen Burghof, es müßte denn ein Käutzchen seyn, das das Gemäuer umschwirrt, oder ein furchtsames Reh, das durch’s Gebüsch entflieht. Eine gewaltige Vertiefung im Burgraum deutet an, wo das Verließ war. Auf dessen eingestürzten Gewölben, deren Decken sonst von den Tönen des Jammers und der Verzweiflung widerhallten, rankt blühender Epheu. Feierliche Stille umgibt den einsamen Wanderer, der diese Trümmer besucht; nur Heerdengeläute tönt leise aus dem Grunde herüber, oder die Schalmei der Hirten, oder die Glocken benachbarter Dörfer.



Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1838, Seite 12. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_5._Band_1838.djvu/20&oldid=- (Version vom 24.8.2024)