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Kein Europäer durfte sich im Lande niederlassen. Götzendienst und Aberglaube wurden von der Londoner Regierung nicht nur geschützt, sondern sogar befördert, und christliche Religionslehrer wurden strenger noch, als andere Klassen, am Aufenthalte in Indien gehindert. Dieses verwerfliche Regierungssystem einer Handvoll Kaufleute hat gedauert von dem Beginn der Eroberung Indiens an bis zur Umwandlung der Regierung selbst, bei Gelegenheit der Erneuerung des Freibriefs der ostindischen Compagnie im Jahre 1813.

Der Gang der menschlichen Angelegenheiten steht niemals stille, und wenn Nationen nicht vorwärts schreiten, so müssen sie zurückgehen. Ausgeschlossen auf der einen Seite von allen gewohnten Bestrebungen nach Ruhm, Ehre, Macht und Rang, auf der andern von allen Vortheilen der Civilisation, brachte für die anglo-indischen Völker jene Periode der englischen Herrschaft nur Erniedrigung und Verschlechterung.

Endlich aber gewann der Geist der Humanität über den des Kasten- und Krämer-Egoismus im brittischen Parlament das Uebergewicht, und Reformen und Verbesserungen in dem gesellschaftlichen Zustande des unermeßlichen Weltreichs wurden die Tagesordnung. Auch für Indien ging der neue Stern auf. Der vortreffliche Hastings erhielt als Generalgouverneur die Mission, das große Werk der Reform in Indien zu beginnen. Jener Staatsmann begann mit einer Neugestaltung der Erziehung der Eingebornen. Unter seiner Verwaltung wurden 14,000 Schulen gegründet, Gymnasien und Universitäten errichtet, der Zwang der Presse ward gelüftet, den Eingebornen die Pfade zur Auszeichnung und Ehre geöffnet, und den Fortschritten in Indien ein allgemeiner und mächtiger Anstoß gegeben. Man lud die Europäer zur Ansiedelung ein, und diese trugen ihre Erfahrungen, ihre Bildung, ihre Kenntnisse in Industrie und Handel mitten unter die Eingebornen des Landes. Je zahlreicher jene wurden, je häufiger wurde Beider Verkehr, je mehr gewannen die Eingebornen Geschmack an europäischen Begriffen, Wissen, Sitten und Genüssen.

Während auf solche Art Beispiel und Umgang in den höhern Kreisen der indischen Bevölkerung eine Umwälzung hervorbrachten, wurde eine gleich große am entgegengesetzten Pol der Gesellschaft durch die christlichen Missionairs vorbereitet. Von ihnen wurden überall christliche Schulen gegründet, die Bücher des Christenglaubens in alle Idiome Indiens übertragen und zu vielen hundert tausend Exemplaren unter das Volk gebracht. Die Missionaire fingen an, Zeitungen in den Volkssprachen herauszugeben. Hastings selbst stellte sich an die Spitze einer „Indischen Schulbücher-Gesellschaft,“ und die Schleusen des Unterrichts im europäischen Wissen öffneten sich jeglicher Kaste. Die weibliche Hälfte der indischen Menschheit war bisher von allem Unterrichte ausgeschlossen gewesen. Hastings gründete Mädchenschulen in allen Städten Indiens; abermals ein unermeßlicher Impuls zur fortschreitenden Civilisation.

Die Priesterkaste, die Brahminen, seit Jahrtausenden gewohnt, über ein unwissendes und unterwürfiges Volk eine Herrschaft zu üben, absoluter als jene der römischen Kirchenfürsten in den finstersten Zeiten gewesen, sahen in jener Umwälzung

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1838, Seite 190. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_5._Band_1838.djvu/198&oldid=- (Version vom 2.11.2024)