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Grafen und seinem treuen Kurt keins mehr. – Am Ende kam es zu einem Verständniß. Die schöne Melechsala versprach ihm, zur Flucht behülflich zu seyn, ihm über Land und Meer zur fernen Heimath zu folgen und den Christenglauben anzunehmen: – er ihr, sie zu freien als eheliches Gemahl, wenn wahr sey, was ihm eine Wahrsagerin betheuert hatte, daß seine treue Ottilie vor Gram und Kummer längst das Zeitliche gesegnet habe mit dem Ewigen. Die erfinderische Liebe fand auch Mittel, auszuführen, was sie kühn ersonnen hatte; die Flucht, die der unzertrennliche Kurt theilte, gelang. Glücklich kam Graf Ernst mit seiner schönen Prinzessin und ihrem Juwelenschmuck in Venedig an, und seht! der Erste, der ihnen entgegentrat, war – der Kundschafter Ottiliens. Von ihm erfuhr der Graf alles in der Heimath Geschehene: daß seine Ottilie noch am Leben und seiner harre in unzerstörbarer Treue, Hoffnung und Liebe! –

Was war zu thun? „wo Niemand Rath weiß, da weiß die Kirche einen,“ sagt das Sprichwort; und so geschah es auch hier. – Der heilige Vater gab der Tochter des Sultans, als Angelika, die christliche Weihe, und nachdem die edle Ottilie großmüthig erklärte, Bett und Tisch mit der Erretterin ihres Ernst theilen zu wollen, und die Prinzessin die päbstlichen Skrupel durch reiche Spenden überwunden, – gab er auch jene merkwürdige Dispensationsbulle, die einem christlichen Ritter zwei legitime Gemahlinnen zugleich zusprach. So etwas ist nie wieder geschehen. –

Die Vermählung wurde in der Burgcapelle zu Gleichen mit aller erdenklichen Pracht damaliger Zeiten vollzogen. Ottilie, welche die Braut wie ihre Schwester empfangen hatte, machte die Hochzeitmutter, und das Schloß, wie man sich denken kann, war nicht groß genug, um alle die vornehmen Gäste zu fassen, welche gekommen waren, um die wunderschöne Sultanstochter und das größere Wunder eines dreischläfrigen christlichen Hochzeitbettes zu schauen.

Das Band der Liebe und Eintracht blieb ungelockert um das seltene Kleeblatt geschlungen, und lange Jahre grünte es freudig fort. Angelika welkte, kinderlos, zuerst dahin. Ihr folgte Ottilie, und der Gram löschte bald nach ihr auch ihrem Ernst das Licht des Daseyns. Was aber im Leben so wunderbar verbunden gewesen, blieb auch im Tode vereinigt. Sie ruhen alle drei in einem Grabe vor dem Gleichischen Altare in der St. Peterskirche zu Erfurt auf dem Berge, wo ihr Grabmal noch zu sehen ist, mit einem Steine bedeckt, auf dem die Ruhenden ausgehauen sind, nach dem Leben abgebildet. Zur Rechten Ottilie, Milde und Frömmigkeit im Ausdruck, in altdeutscher Ritterfrauentracht; zur Linken die schöne Sarazenin, die Königskrone auf dem schlanken Haupte; in der Mitte der Graf, auf seinem Wappenschilde mit dem Leopard-Löwen sich stützend. Jahrhunderte lang stand noch die alte dreischläfrige Sponde als Reliquie im nun verfallenen Schlosse, – und Mancher, dem die Eifersucht am Herzen nagte, schnitt sich heimlich davon einen Span, dem ein Volksglaube unfehlbare Heilkraft verlieh.



Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1838, Seite 186. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_5._Band_1838.djvu/194&oldid=- (Version vom 6.9.2024)