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mehr zurecht zu finden wußte. Finstere Nacht brach herein. Ermüdet legten sie sich unter einen Baum zur Ruhe und schliefen ein. Pferdegetrappel weckte die Schläfer; und erschrocken sahen sie im Zwielicht des Morgens die Reiterschaaren der Sarazenen vor sich und hinter sich ziehen. Jeden Augenblick der Entdeckung gewärtig, und der Unmöglichkeit des Entkommens gewiß, empfahlen sie ihre Seele Gott und der heiligen Jungfrau, und faßten den Entschluß, ritterlich zu sterben. Aufsprangen sie, – aufschwangen sie sich zu Roß, und die nächste Sekunde fand sie schon mitten unter einem Haufen Sarazenen, Tod und Verderben um sich her verbreitend. Aber immer dichter und dichter schaarten sich um sie die Feinde: das verwundete Roß des Grafen strauchelte und warf seinen Reiter mit schwerem Fall zu Boden. Er wurde entwaffnet, mit ihm der treue Kurt. Zwar schenkten die Sarazenen den Tapfern das Leben unerbeten; schlugen sie aber in Ketten und schickten sie, als Trophäe, zu ihrem Herrn, dem furchtbaren Beherrscher Aegyptens. Graf Ernst wurde zu Cairo in einen Thurm gebracht und gefangen gehalten.

Gleichen’s plötzliches, spurloses Verschwinden brachte Bestürzung unter die Christen, und die Thüringischen Ritter, denen das Lagerleben längst überdrüßig geworden, nahmen seinen vermeintlichen Tod zum schicklichen Vorwand für die Rückkehr; alle brachen auf und zogen heim. Die traurige Kunde von ihrem Gemahle stürzte die arme Gräfin in tiefen Kummer; doch eine geheime Stimme tröstete und sagte ihr immer, er sey noch am Leben. So stark wurde am Ende dieser Glaube, daß sie einen treuen Boten aussandte, ihren Ernst über Berg und Meer im fernen Morgenlande auszukundschaften. Der schwebte, wie ein Rabe aus der Arche über den Gewässern, hin und her, und ließ nichts von sich hören. Darauf sandte sie einen andern Boten aus; der kam nach vieljähriger Irrfahrt wieder; aber auch ohne den Oelzweig der Hoffnung. Dennoch beharrte das liebende Weib standhaft in ihrem Glauben, und einen dritten Apostel schickte sie, den Gemahl zu suchen. Der aber, träger Gemüthsart, hatte sich das Sprüchlein wohlgemerkt: „zum Laufen hilft nicht schnell seyn“; darum blieb er weislich am Thore stehen, durch welches zu damaliger Zeit alle Kreuzfahrer der Christenheit ein und auszogen: er blieb in Venedig. Da hatte das Männlein gar bequem kundschaften und forschen.

Sieben lange Jahre hatte Graf Ernst, jedem Menschen, außer seinem Kerkermeister, unzugänglich, in seinem einsamen Thurm zu Groß-Cairo gesessen; als sich eines Tages plötzlich die Thüre seiner Zelle öffnete und ein hagerer Sarazene, mit einem Christensklaven im Gartengewand, eintrat. „Christenhund,“ rief er ihm zu, „folge mir; ich brauche für diesen Sklaven einen Gehülfen; du verstehst dich auf Gärtnerei, wie dieser sagt; du sollst mit ihm arbeiten!“ – Jetzt faßte Ernst den Gärtnerburschen in’s Auge; welche Freude! es war der treue Kurt. Er erkannte dessen Absicht; und als er den Kerker verließ, dankte er Gott, als wäre seine Befreiung schon geschehen.

Der Graf fand sich in seine neue, ungewohnte Beschäftigung bald, und er stieg in der Gunst seiner Obern allmählig so, daß er zum Aufseher der übrigen Gehülfen bestellt wurde. Die Tochter des Sultans, welche in Begleitung ihres Vaters zuweilen den Garten besuchte, warf ein heimlich Auge auf den schönen Christenmann, und allmählich entbrannte das Herz des Mädchens in unauslöschlicher Liebesglut; Allen ein Geheimniß, nur bald dem

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1838, Seite 185. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_5._Band_1838.djvu/193&oldid=- (Version vom 6.9.2024)