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und die meisten Ueberbleibsel verschwanden bis auf die Grundmauern. Nur aus der Menge der eingestürzten Kellergewölbe läßt sich noch auf den ehemaligen, sehr großen Umfang der Burg schließen; sie bedecken die ganze Bergkuppe und gähnen dem Wanderer zwischen Dorngestrüppe und Strauchwerk bei jedem Schritte entgegen.

Ein halbstündiger, recht angenehmer Weg führt von Mühlberg nach den romantischen Trümmern der Burg Gleichen, durch die Geschichte ihres Helden, die so viele Dichter begeisterte, weltberühmt. Noch streckt der in Stein gemeißelte Löwe über’m alten Burgthor aus Fliederbüschen und Himbeerranken seine verwitterte Pranke hervor, und ruft uns die von Musäus so anmuthig erzählte Legende, – das Ergötzen unserer Jugend, – in’s Gedächtniß zurück. Ich will sie wieder erzählen; doch kürzer zusammen fassen. –


– Von Rom war ein Ruf ausgegangen zum neuen Zuge in’s heilige Land, beizustehen den hartbedrängten Christen, und Kaiser Friedrich der Rothbart rief seine Vasallen herbei zur fernen Heerfahrt für die Ehre des alleinigen Gottes. Der Thüringer Landgraf Ludwig, sein treuer Lehnsmann, folgte willig dem kaiserlichen Gebot. Er befahl einen gemeinen Aufstand und nannte eine kurze Frist für die Grafen und Herren seines Landes, sich um ihn zu sammeln mit ihren Reisigen, und ihm zu folgen in’s Lager des kaiserlichen Heeres. Viele aber suchten Vorwand, die Kriegsfahrt abzulehnen; nur wenige kamen – unter ihnen Graf Ernst von Gleichen, mit einer Schaar rüstiger Kämpen, Ritter wie Reisige. Dem jungen, kraftstrotzenden Grafen und seinem thatensüchtigen Geiste gelüstete nach Abenteuern unwiderstehlich, und weder Bitten, noch Thränen seiner liebreizenden Hausfrau, die ihm in 2 Jahren der glücklichsten Ehe 2 Kinder zur Welt geboren hatte, und ein drittes unter dem Herzen trug, konnten etwas über seinen Entschluß vermögen, mit dem Kaiser und den Fürsten zu ziehen und Gefahr und Ruhm mit ihnen zu theilen.

Der Landgraf sah nicht das Ziel seiner Fahrt. In Hidrunt, als er sich zur Ueberfahrt nach Palästina anschicken wollte, packte ihn ein böses Fieber, und da er merkte, daß er die Welt gesegnen sollte, berief er Grafen Ernst an sein Sterbebette und ernannte ihn, an seiner Statt, zum Anführer der Thüringer Schaar. Er nahm ihm einen Eid ab, nicht heimzukehren, als bis er in offenem Kampfe gegen die Ungläubigen dreimal siegend das Schwert gezogen. Graf Ernst ließ die Leiche seines Herrn einbalsamiren, verschloß sie in eine silberne Truhe und schickte sie der frommen Elisabeth zur Wartburg; darauf aber spudete er sich zur schleunigsten Abfahrt und gelangte mit seinem durch Seuchen sehr verringerten Häuflein auch glücklich nach Ptolemais, wo das Heer der hart bedrängten Christen lagerte.

Die Sarazenen waren Meister des Landes, und jenen nichts übrig, als einige feste Plätze. Das müßige Lagerleben ekelte jedoch den thatendurstigen Gleichen bald an; oft stahl er sich mit einigen gleich kühnen Genossen hinaus, um Abenteuer zu suchen. Einmal entfernte er sich, begleitet von einem einzigen Knappen, in der Abenddämmerung zu weit, kam, Irrlichter für Wachtfeuer, ansehend, weit ab und verirrte sich so, daß er sich nicht

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1838, Seite 184. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_5._Band_1838.djvu/192&oldid=- (Version vom 1.11.2024)