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CCXXIV. Die Leuchtenburg.




Wieder einmal ein recht charakteristisches Bild aus dem Thüringer Lande! – Von Rudolstadt abwärts bildet das Saalthal mit den zunächst gelegenen Parthien einen Park, wie er nur aus der Hand des Meisters hervorgehen kann, der die Welt schuf und sie geschmückt hat. Bald macht der Strom eine enge Schlucht, bald durchfließt er breitere Auen, auf welchen von Gärten umgebene Dörfer, einsame Mühlen und Gehöfte, üppige Felder und Wiesen mit Baumgruppen und Wäldchen abwechseln. Die Bergrücken, welche das Thal einschließen, sind ganz mit Wald bewachsen; nur selten drängt der Getreidebau die Holzung von den Abhängen in die höheren Regionen zurück. Ungefähr anderthalb Stunden von Kahla, einem Altenburgischen, gewerbfleißigen und freundlichen Städtchen, verengt sich der Grund zu einer Schlucht, in der sich die Heerstraße von Rudolstadt nach Jena hinzieht. Bei einer plötzlichen Wendung, welche der Weg macht, überrascht den Reisenden eine wahrhaft entzückende Ansicht. Mitten zwischen hohen, waldbewachsenen Bergkegeln, ragt, in lichter Ferne, hoch oben auf der Spitze eines Berges, die Burg, deren Fenster, sichtbar von den meisten Höhen des Thüringer Waldes, im brechenden Strahl der Morgen- und Abendsonne noch jetzt so schön flammen, wie vor tausend Jahren. Es ist die Leuchtenburg.

Ihre Erbauung geschah im neunten Jahrhundert. Sie diente den Thüringern als Grenzveste gegen die andringenden Wenden und Ungarn. Herren von der Leuchtenburg erscheinen in Urkunden lange vor des Habsburgers Zeit.

Um 1360 kam sie pfandweise an die Grafen von Schwarzburg, die sie, später, an einen reichen Erfurter Bürger versetzten. Das war ein stolzer, jähzorniger Mann. Er ertappte einst einen fremden Bauer beim Fischen in einem zur Burggemarkung gehörigen Bache, schlug ihn, und als sich der Angegriffene zur Wehre setzen wollte, packte der baumstarke Erfurter ihn bei der Gurgel und knüpfte ihn am nächsten Baume auf. Die That wurde ruchbar beim Landesherrn des Gemordeten, Friedrich dem Streitbaren, Markgrafen zu Sachsen, und dieser, dem jede Gelegenheit zu Fehde und Kampf willkommen war, machte sich sogleich auf und zog vor die Leuchtenburg, um Genugthuung zu fordern. Es war im November 1392. Die Erfurter rüsteten sich zwar, um ihrem Mitbürger beizustehen,

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1838, Seite 169. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_5._Band_1838.djvu/177&oldid=- (Version vom 5.9.2024)