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Madagascar. – Die Insel, etwa 200 geogr. Meilen lang und den vierten Theil so breit, wird durch den Kanal von Mozambique vom afrikanischen Festlande geschieden. Für die gebildete Welt ist sie, bis auf einige Küstenstriche, noch immer ein TERRA INCOGNITA; daher muß die Angabe von der Zahl ihrer Einwohner bloß auf muthmaßlichen Schätzungen beruhen. Solche wechseln zwischen 1½ und 3 Millionen. – In Madagascar zeigt sich die Natur noch in ihren Urformen, und nur leise hat die Hand der Cultur sie hie und da berührt. An den Küsten tief eingerissene, mit der uppigsten Vegetation begrenzte Schluchten, aus denen brausende Bergwasser dem Ocean zueilen; weiterhin mit fast immerwährenden Nebeln bedeckte Thäler und, im Innern, große hohe Gebirgskämme, an deren mit Urwäldern bedeckten Seiten colossale Wolkenmassen hin und her ziehen, oder auf und nieder wogen, oder, das Ganze umhüllend, ein Dunstmeer bilden, aus dem nur die höchsten Bergkegel hervor stehen wie einsame Inseln: – so ist der allgemeine Anblick Madagascars aus der Ferne. Die geognostischen Verhältnisse des Eilands sind noch fast gar nicht untersucht; doch trägt es die sichtbaren Zeichen der neptunischen Herrschaft. Muschelkalk ist bis zu einer Höhe von vielen tausend Fuß aufgelagert, und die Ueberbleibsel von Korallen etc. etc. bilden ganze Berge. Nur einzelne Strecken des Ufers beweisen das Daseyn von auch vulkanischer Thätigkeit in diesen Gegenden. Basaltfelsen, theils mit schöner Säulenbildung, ragen an mehren Orten unmittelbar aus dem Meere hervor. Alle Partieen vulkanischen Ursprungs sind sehr zerklüftet und geben den Gegenden, wo sie vorkommen, einen romantischen Charakter, den eine riesenhafte Vegetation noch steigert. Die Schluchtenwände sind mit armdicken Schlingpflanzen eingefaßt, oder besetzt mit großen Bäumen, an welchen jene hinanranken. Uralte, ungeheuere Baumstämme liegen chaotisch umher, eingeklemmt zwischen dem zerflüfteten Gestein, oder mit Farnkräutern und Gebüsch überwachsen: Zeugen der Gewalt und der Verwüstungen der Gewässer, die zur Regenzeit sich in reißenden Strömen von den Bergen wälzen. Hie und da stürzen Wasserfälle von Felsabsätzen, oder grünliche Seen gucken aus der Tiefe der Thalgründe. Auf dieser Insel ist an gebahnte Wege nirgends zu denken. Die Pfade der Menschen gleichen den Pfaden des Wildes, und über die schauerlichsten Schluchten führen leichte Brücken, von Baumzweigen geflochten. Schaudernd sieht der zagende Reisende die Wasser in der Tiefe schäumen und hört ihren Donner, der sich durch die Schlucht den fernen Bergen zurollt.

Die Eingebornen wohnen Dörferweise bei einander. Ihre Wohnungen sind, zum Schutze vor den Ueberschwemmungen, gemeinlich auf Anhöhen erbaut, und haben, vermöge einer Eigenthümlichkeit in ihrer Bauart, ein sonderbares Ansehen. Sie sind nämlich zeltartig, und die Balken, welche sich zu beiden Enden, an den Firsten, kreuzen, ragen weit über dieselben, gabelförmig, hinaus, und sind an den Enden zu allerhand Kopfgestalten von Thieren und Vögeln ausgeschnitzt. Die Dörfer umgeben Gräben, zwanzig Fuß breit und oft doppelt so tief, theils

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1838, Seite 145. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_5._Band_1838.djvu/153&oldid=- (Version vom 4.9.2024)