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darf sie, am wenigsten in Deutschland, vor Verborgenem zittern, und ihre gelassene Aufmerksamkeit von ihrem Wege ablenken lassen. Jedem Unzufriedenen wird sie billigen Spielraum gönnen, jeden Uebelgesinnten bei der That erwarten; denn sie wird nie zweifeln am gewissen Siege. Aber sie wird auch nicht müde werden, aus den vorhandenen Thatsachen, auf analytischem Wege, die Ursachen zu erforschen, (die ihr kein Heilausschuß mit unbeschränkter Vollmacht entdecken wird), und nie sich scheuen, mit der Hinwegräumung der Ursachen die Wiederkehr der Wirkungen unmöglich zu machen.

Warum hat man nicht also überall gethan? Was hat die Pforten des Unterreichs aufgerissen, was hat die Leidenschaften losgekettet, was hat die Furien herauf beschworen auf deutsche Erde, die die Brunnen des öffentlichen Lebens grausam vergifteten? O daß ich die Antwort mit meinem Herzblut an die Pforten des Vaterlandes schreiben dürfte! Aber was ich nicht auszusprechen wage, die Formel, welche die Furien zurückzuschrecken Macht hat in den Abgrund, dem sie entstiegen, und die ihn verschlossen halten würde für immer: im Herzen jedes Biedermanns, der’s wohlmeint mit dem Vaterlande, steht sie verzeichnet, leferlich Allen, die darinnen lesen mögen. –

Die kleine Quelle eines Stromes mag der Fuß eines Kindes aus ihrem Laufe drängen; aber den Strom selbst hemmt keine menschliche Kraft. Was hie und da jetzt vorgeht, ist wie Quellenrieseln, wie Windeswehen, wie Baumeswachsen. Aber trotz unheimlicher Zeichen grünt und schattet die deutsche Eiche doch so herrlich! Wie sollte man Gefallen daran haben, Blitze hinein zu schleudern, damit ihre Krone zum dürren Geniste werde und sie nur unterirdisch fortwachse: denn fortwachsen muß sie, und an die Möglichkeit des Vertilgens glaubt der Teufel selbst nicht.

Allerdings hat sie auch einige welke Zweige. Wenn die Blitze nur diese träfen, damit die regenerirenden Keime an ihrer Stelle sich um so schneller entwickelten, wäre es nicht übel gethan. Unsere Rechtspflege z. B., und unser Unterrichtswesen, das auf den Akademien besonders, hat schon längst einer Neu-Begeistigung und Umgestaltung bedurft. Seit einer Reihe von Jahren sind die Universitäts-Disciplinen in Zwietracht mit den Forderungen der Zeit und des Lebens. Von Jahr zu Jahr immer mehre der dürren, welken Aeste strecken jene Institutionen vom Mutterstamme aus. Aufgelöst, morsch, faul und verwittert ist das meiste an ihnen, und der Geist der Verwesung geht um auf den Kathedern. Es hilft kein Tempelneubauen, wenn die Götter verschwunden sind. Wie in Ruinen hört man’s in ihren Grundvesten und Wänden knistern, als nage vernehmlich der Zahn der Zeit an ihrem Bau; Tragpfeiler bersten, die Mauern rücken aus dem Lothe und nur der grüne Epheu, der sie umrankt, oder das Gerüste, das die Nothwendigkeit endlosen Ausbesserns um den morschen Bau gespannt hat, hält diesen nothdurftig noch zusammen. Aber die Masse, unverwüstlich wie der Urfels, aus dem sie gehauen, ist gesund und für Wiedergestaltung gar wohl empfänglich.

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1838, Seite 134. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_5._Band_1838.djvu/142&oldid=- (Version vom 3.9.2024)