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Ausmarsches an der Kampf mit den Elementen. Der Regen fiel unausgesetzt und in Strömen, und machte die unwegsamen Wege noch unwegsamer; Geschütze, Munitions- und Proviantwagen versanken im Koth, mit ihnen die erschöpften Pferde; was die Thiere versagten, vollbrachte aber der unerschütterliche Muth der Menschen. Diese schleppten das Fuhrwerk, Munition und Geschütze über die Höhen und durch reißende Ströme. Jede Schlucht war ein solcher geworden; alle Schleußen des Himmels nicht blos, auch die der Erde schienen geöffnet. Am 17. Nov. erreichte die Armee die Vorgebirge des Atlas. Hier überfiel sie ein Schneesturm. Er dauerte 28 Stunden und verwandelte die afrikanische Landschaft in eine sibirische. Die alten Krieger dachten an den Winterfeldzug in Rußland. Noch waren sie 2 Tagemärsche entfernt von ihrem Ziele. Alle Hindernisse aber besiegte der Enthusiasmus – nach 3 Tagen lagerte das Expeditionsheer vor Constantine. Aber in welchem Zustande! Ein Drittel der Mannschaft war umgekommen unter den Strapazen, oder kampfunfähig geworden, und der Rest im Zustande der äußersten Erschöpfung. Stolz, einem gepanzerten Riesen gleich, stand die Felsenstadt vor ihnen, unersteiglich, nur auf einer einzigen Stelle verwundbar, und diese durch 9000 Araber vertheidigt, welche für Heerd und Glauben stritten. Dennoch beschloß man den Angriff. Die Höhe der Brücke gegenüber wurde erstürmt, die Kanonen hinaufgetragen; aber auf dem durch den achttägigen Regen aufgelösten Boden Batterien zu errichten, fand man unmöglich. Die schweren Geschütze versanken wie in einem Sumpfe. Unter diesen fruchtlosen Versuchen spieen die Feuerschlünde des Platzes ihr mörderisches Blei gegen die kühnen, ungeschützten Haufen der Belagerer. Viele stürzten, und es wagte die Besatzung einen Ausfall; aber die Franzosen warfen mit kaltblütiger Unerschrockenheit den ungestümen Angriff der Araber mit dem Bajonnet zurück und drangen mit ihnen zugleich bis an das Hauptthor. Dort, vor den Kanonenmündungen, entspann sich ein beispielloser Kampf, der einen vollen Tag gedauert hat. In Ermangelung einer Breschebatterie waren Steine, Gewehrkolben und Aexte die Mittel, durch welche die Belagerer eine der stärksten Festungen Nordafrikas zu bezwingen suchten, und mit diesen gewannen sie wirklich das erste Thor. Aber das zweite, innere widerstand so schwachen Werkzeugen mit Erfolg; alle Versuche der wüthenden Tapferkeit, es zu gewältigen, waren vergeblich. – Den ganzen Tag hatte es geschneit, kein Gewehr ging mehr los, erstarrt vor Kälte und Hunger und von den furchtbaren Anstrengungen erschöpft, ohne Hoffnung eines bessern Erfolgs für den kommenden Tag, hüllte die Nacht das kleine Heer in ihren Mantel. Rundum auf den Höhen loderten Feuer, rufend und versammelnd die Söhne der Wüste, wie die Geier um den sterbenden Löwen. In dieser verzweifelten Lage gab der alte Marschall Befehl zum Rückzug.

Hatten die Franzosen bisher die höchste Unerschrockenheit entfaltet, so galt es jetzt, wahren Heroismus zu zeigen. Die Hälfte der Mannschaft belud sich mit den Verwundeten und Kranken, die andere bildete den Phalanx, der sie vertheidigte: so – unter Schnee und Regen, auf den unwegsamsten Pfaden, stets preisgegeben den Angriffen

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1838, Seite 117. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_5._Band_1838.djvu/125&oldid=- (Version vom 2.9.2024)