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eigenen Eingeweiden wühlen würde, wenn er ihm nicht einen Turnplatz anwiese, wo sich die überschüssige Kraft verzehren könne. Was Amphitheater und Naumachien, was die blutigen Gladiatorenspiele der alten Roma waren, sind der neuen in unsern Tagen Navarino, Antwerpen, Algier und Constantine gewesen. –

Constantine liegt 26 Meilen südöstlich von Algier am Fuße des Atlas, auf einem fast viereckigen, tafelförmigen, nach allen Seiten hin 300 bis 600 Fuß hoch senkrecht abgeschnittenen Felsen. Vermöge seiner Lage fast unangreifbar, würde die Stadt unüberwindlich seyn, wenn sie nicht von benachbarten Höhen beschossen werden könnte. Zugänglich ist sie nur von der Südostseite, wo ein prächtiger Viaduct, ein Werk der Römer, über die trennende Schlucht zur Stadt führt. Die Gegend von Constantine ist nicht ohne Reiz. Von der Höhe des Felsens schweift der Blick über mit grünen Matten bedeckten Thälern hin, welche sich das Gebirge hinauf ziehen, und die einst mit römischen Landsitzen und Villen und Pallästen bedeckt waren, von denen man noch überall Trümmer findet. Den Hintergrund nach Süd und Ost bilden die Alphörner des Atlas und ein langer, unersteiglicher Felsenkamm. Die (antiken) Mauern der Stadt nehmen das ganze Plateau ein, von mehr als zweistündigem Umfange. Hiernach zu urtheilen muß die Stadt einst wenigstens eine Viertel Million Einwohner gehabt haben. Jetzt füllen den größeren Theil ihres Umfangs Gärten, und die Bevölkerung ist, mit Einschluß der französischen Garnison, nicht über zwanzig Tausend.

Constantine verdankt den Karthagern die Gründung und den ältesten Namen Kirtha. Während der Dauer des numidischen Reichs war es dessen Hauptstadt, und unter der Regierung des mächtigen und reichen Massinissa hatte es seine glänzendste Zeit. Aus dieser stammen die prächtigsten der noch vorhandenen Trümmer antiker Gebäude. Während der Kriege des Marius und Sylla, etwa 100 Jahre vor unserer Zeitrechnung, wurde Numidien verwüstet, und unter Tiber römische Provinz. Beim Drucke aussaugender römischer Prokonsuln verarmte das einst reiche Land. Constantine, obschon als ihre Residenz von den römischen Statthaltern begünstigt und gepflegt, gelangte doch nie wieder zu dem früheren Glanze, behielt aber, als ein Hauptstützpunkt des römischen Weltreichs in Afrika, große Bedeutung, so lange jenes dauerte. Zwei Legionen hatten hier eine bleibende Station und die Bestimmung, die unruhigen Bergvölker im Zaume zu halten, und die angränzenden Distrikte vor ihren Einfällen und Räubereien zu schützen. Numidien nahm frühe den christlichen Glauben an; eben so frühe nistete sich auch das Sectenwesen ein, und die kirchlichen Streitigkeiten der Arianer und Donatisten führten zum Bürgerkriege. Kirtha, mehrmals Schauplatz blutiger Kämpfe, ging in Flammen auf. Kaiser Constantin baute es in den Jahren 340–350 wieder auf, erweiterte die Festungswerke und versah die Mauern mit starken, bis auf den heutigen Tag vollkommen erhaltenen Thürmen. Seitdem führt Kirtha den Namen Constantine. Auch der große Aquaedukt, ein Wunderwerk der Baukunst, der die Quellen meilenweit aus der Gegend von Physgah der

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1838, Seite 115. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_5._Band_1838.djvu/123&oldid=- (Version vom 2.9.2024)