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mehr entkettet, sind an den Phalanx-Enden der Gegner jene dunkeln Gewalten mächtig geworden, welche jeder Mensch als Keime in der Brust verschließt. Viele haben es über sich genommen, den Vollmachtsbrief zu schreiben zum Mord eines Königs, dessen Maaß, nach ihrer Meinung, gefüllt war bis zum Rande. Wunderbar ist am Angegriffenen der Todesengel vorübergegangen, schützend und warnend zugleich; und ihrerseits haben, mit einem Heroismus, des Alterthums würdig, die Mörder das eigene Leben hingegeben, Blut mit Blut zu sühnen. –

Seitdem trägt das neue Königshaus, entsetzt über die Beharrlichkeit der Gegner, sein Janushaupt mit zwei Zungen und zweierlei Sprachen am Tage zur Schau. Schutz suchend nach Außen im Bunde mit der Erblichkeit der Macht, die außerhalb Frankreichs fest im angestammten Boden wurzelt, sucht es die Sicherheit nach Innen dadurch, daß es sich, nach Möglichkeit, allen Ueberlieferungen befreundet, die noch nicht erloschen; allen Erinnerungen, die noch nicht verblüht; dem Klerus, was ihm an Ansehen noch geblieben; daß es sich verbrüdert mit Allem, was von den Repräsentanten der Kaiserzeit noch übrig, und der Jugend schmeichelt, welche, lebendig und gewandt, keck bis zur Verwegenheit, anmaßlich bis zur Unverschämtheit, vorzeitig erfahren in aller Weisheit und in allen Lüsten der Welt, schon in den Kinderschuhen mit Ungeduld die Zeit erwartet, wo sie Theil nehmen mag am öffentlichen Leben. Zu seiner unmittelbaren persönlichen Sicherheit aber hat es sein kaiserliches Erbe zur höchsten Vollkommenheit ausgebildet: jenen nächtlichen und unsichtbaren Schirm-Apparat nämlich, genannt die hohe Polizei; dieses Ohr des Dionys im Heere und in den Collegien; der aufgesperrte Löwenrachen in jeder Gaststube und jeglicher Wohnung des Bürgers; jene immer und überall horchende, spähende, lauernde, im Finstern umherschleichende Macht, die jedes Wort belauscht, jeden Anschlag erforscht, und jeder Mine eine Contremine gräbt.

Es ist nicht in Abrede zu stellen, daß das neue Königthum in Ludwig Philipp einen Repräsentanten und Vertheidiger gefunden hat, werth auf festerem Boden zu streiten. In den schwierigsten Lagen hat er eine kaltblütige Klugheit gezeigt, die leicht der Menge für Heroismus galt und um Bewunderung warb. Er führt seinen Kriegswagen mit aller Gewandtheit, die eine bewegte, thatenreiche Zeit entwickelt; mit allem Verstande, den so vielseitig sich kreuzende Interessen angeregt; mit aller Einsicht, die ein vielfach versuchtes Leben gewähren kann; mit aller Theilnahme, welche die wichtigsten, materiellen Interessen fordern; mit allem Feuer, das der stets fortdauernde Kampf unterhält; endlich mit der ganzen Gewalt, welche die Majorität der Ansichten und Neigungen verleiht, die in ihm ihren Repräsentanten finden.

Es ist keine der geringsten Beweise von Ludwig Philipps Staate klugheit, daß er der Eitelkeit und Ruhmsucht der Franzosen immerfort Spiele zu bereiten, und dem ritterlichen, abenteuerlichen Sinn der Nation stets eine neue Arena zur Uebung in Kampf und Kriegskunst zu öffnen versteht. Der König weiß, daß der in den dreißigjährigen Revolutions- und Kaiserkriegen erstarkte Athlet, da kein äußerer Feind mehr naht, mordgrimmig in den

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1838, Seite 114. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_5._Band_1838.djvu/122&oldid=- (Version vom 2.9.2024)