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CCXIII. Constantine.




Eine neue Roma steht Frankreich in der Zeit. Zwar begegneten sich, der Eroberung Unbill rächend, schon einmal die Völker Europens vor Lutetias Thoren, und sie entrissen der Anmaßlichen die eiserne Krone, welche mit cyklopischer Kraft für die Welt geschmiedet worden war. Diese liegt zerbrochen: aber der Baum, dessen Zweige sich zur Allherrschaft ausstreckten, grünt frisch und saftreich fort, und die Zeit der Cäsaren ist keine schon ganz vergangene.

Seit jener Völkersturm Frankreichs Kräfte in die alten Schranken zurück und zusammen drängte, haben sie sich furchtbar gemehrt. Ihr Uebermaß thut sich kund durch viele Zeichen. Der Friede, welcher in andern Nationen des Krieges Geist abgestumpft hat, ließ jenem Athleten keine Ruhe: denn, damit es ihm nie an Stacheln und an Uebung fehle, hat der Weltgeist jenen großen Zwist in seine Lebenstheile gelegt, der zu innern Drang und Streit und Kampf die Lebensgeister ohne Rast umtreibt, wenn auch äußerlich die Glieder zuweilen der Ruhe pflegen.

Der zum Drittenmale wieder aufgerichtete Thron repräsentirt blos eine dieser kämpfenden Kräfte, und alle klug und schlau ersonnenen Mittel, ihn zu befestigen, daß er, im Ganzen lebend, zugleich ein Leben in sich selber habe, geben keine Gewähr. Das Königthum ist, nachdem die Revolution sein Fundament zerstört und alle seine Lebenselemente ausgetilgt hat, in Frankreich blos noch eine hohle Form, gut zum Versteckniß der Parteien, ein Aggregat von blos äußerlichem Bestande, preisgegeben jedem Zufall, zu allen Zeiten von Umständen abhängig, die es weder leiten, noch beherrschen, noch voraussehen kann. Blutschänderisch gezeugt und empfangen, entbehrt es jeglicher Würde, sogar der ehrlichen Geburt. Als Machwerk einer übermächtigen Parthei, von der es die Mission empfangen hat, große Interessen zu verwahren, durch große Opfer erworbene Rechte zu vertheidigen, positive, feierlich gemachte Zusagen aufrecht zu erhalten, wird es so lange dauern, als jene Fraktion des Volkes selbst die Obermacht behält und es seine Aufgabe zu ihrer Zufriedenheit löst. Einzig und allein auf dem schmalen, schlüpfrigen, beschränkten Grund der Charte fußend, kann sich das neue Königthum nur durch das Anlehnen an die zur Zeit noch stärkste Parthei gegen den Andrang der übrigen vertheidigen, und es ist genöthigt, das verhaßte Schaukelsystem zu verfolgen, welches jene zu ihrer Selbsterhaltung nöthig zu haben glaubt. Indem aber die Unnatur und die Arglist dieses Systems die hadernden Geister nur noch mehr empört, und die Unsicherheit, die es verräth, die Lizenz mehr und

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1838, Seite 113. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_5._Band_1838.djvu/121&oldid=- (Version vom 2.9.2024)