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CCXII. Schloss Theben in Ungarn.




„Nach Ungarn!“ antwortete Freund K. auf mein „Wohin?“ das ich ihm zurief, als ich ihn vor dem Posthause in Wien den Eilwagen besteigen sah. „Wollen Sie mit? Nur auf zwei Tage!“ setzte er einladend hinzu, und wies auf den wolkenleeren, azurblauen Himmel und auf das in der Morgensonne strahlende kupferne Dach St. Stephans. Ich hatte nichts zu versäumen. Rasch bezahlte ich mein Passagiergeld nach Presburg und fünf Minuten später rollte der Wagen durch die St. Markser Linie. Schaaren marktender Landleute zogen zu beiden Seiten des prächtigen Heerwegs uns entgegen, und ihre malerischen Gruppen bereicherten den Stoff unserer Unterhaltung. Ehe wir es uns versahen, durchfuhren wir Simmering, einen stattlichen Flecken von 2500 Einwohnern. Er liegt auf einer unfruchtbaren Ebene, wo die Artillerie der Wiener Garnison ihre Schießübungen, und die Pferdeliebhaber der Hauptstadt zuweilen Wettrennen halten. Eine Viertelstunde später kamen wir an einem mit Ringmauern und Thürmen umgebenen, citadellenähnlichen Gebäude vorüber, das Wachtposten umstellten. Es war das kaiserliche Pulvermagazin. Zur Zeit der Belagerung Wiens durch die Türken, hatte der gefürchtete Soliman II. hier sein Hauptquartier. Am schönen Kaiser-Ebersdorf vorbei, gelangten wir nach Schwächat, der ersten Poststation. Eine nahe bei dem Flecken aufsteigende Pyramide ist auf der Stelle errichtet, wo Kaiser Leopold, nach der Befreiung Wiens von den belagernden Türken mit dem Helden Sobiesky zusammentraf, um ihm und seinen Polen für die Rettung seiner Hauptstadt und seines Reichs zu danken. Polen und – dieß Denkmal! – Die Dissonanz ist groß; aber im Charivari der Zeit macht sie sich nicht übel. – Bei Fischament, zwei Posten von Wien, wird die Gegend fruchtbar und reich; hinter diesem Marktflecken reihen sich die Dörfer Elend, Haslau, Riegelsbrunn und Petronell dicht an einander. Noch vor dem letzteren Ort, eine Viertelstunde südlich, sahen wir die Reste des Triumphbogens, den August dem Tiberius nach Pannoniens Eroberung setzen ließ. Wir befanden uns nahe an der Pforte Ungarns. Das alte Charnuntum, Hauptwaffenplatz der Römer und ihre Grenzfestung zum Schutz der deutschen Provinzen, nahm mehr als den ganzen Raum der heutigen Gemarkung von Petronell ein, und die Spuren von antikem Mauerwerk und römischen Verschanzungen gehen bis an den Neusiedler See herab. Petronell ist überdieß merkwürdig wegen seiner alten Kirche, die Karl der Große erbaute. Deutsch Altenburg, nahe der Scheidung Deutschlands und Ungarns romantisch gelegen, hat ein seit undenklichen Zeiten bekanntes Schwefelbad, das schon bei den Römern in Ruf war.

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1838, Seite 107. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_5._Band_1838.djvu/115&oldid=- (Version vom 18.10.2024)