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schlichten Landmanns[1], um von der Natur mit beharrlicher Anstrengung zuverlässig Das zu erringen, was zum Lebensglück eben gerechnet zu werden pflegt, wogegen in Europa die Anweisung des Armen auf die nackte Natur nichts wäre, als bitterer Hohn. Gerade weil der Zustand der europäischen Gesellschaft so ist, daß die Vermögenslosen noch dann zum Wohlstand gelangen können, wenn die Reichen arm gemacht werden; – eine furchtbare Alternative, die man seit einem Jahrhundert mit Sprüchen der Moral und Religion vergeblich bekämpft! – liegt die Begünstigung der Auswanderung nach Amerika gleich sehr im Interesse der Menschlichkeit, wie in dem der Staatsklugheit. Jeder Staat sollte seinen armen Bürgern zurufen: Wendet euch, statt euch im Drängen nach Verbesserung eurer Lage feindlich gegen eure wohlhabenden Mitbürger zu richten, an Nordamerika’s freigebige Natur! Es wäre fürwahr ein Leichtes, jedem Staate die Mittel nachzuweisen, durch welche er, ohne bedeutende Opfer für die Gesammtheit, den gemein-schädlichen Ueberschuß seiner Bevölkerung, jene Bevölkerung nämlich, welche mit aller Anstrengung ihrer Kräfte kaum die Mittel zur Erhaltung des nakten Lebens erschwingen kann, und früher oder später dem Staate eine Last wird, ihm aber immerfort ein Element der Gefahr ist, nach Amerika ableiten könnte. Bestimmt opfert ein jeder europäische Staat für die Wohlthätigkeits-Anstalten, gegründet dem äußersten Elende zu steuern, und für jene, welche bestimmt sind, Verbrechen zu verhüten, zu entdecken und zu bestrafen, welche im Schooße der Verzweiflung geboren werden, und die den Hunger zum Vater haben, weit mehr.

Leider aber ist’s ein allgemeiner und verjährter Glaube, daß das Elend und die drückendste Armuth eines Theils der Bevölkerung zum Staate gehöre, wie Dürre und Hagel zum Wetter, daß sie nothwendige Bestandtheile der civilisirten Gesellschaft seyen, und dieser Glaube verhärtet die Menschen, hindert die Enthüllung der letzten Ursache der Armuth und macht das Uebel unheilbar. Die Idee, daß, wollte man nur den Boden-Reichthum, den der allgütige Gott in unkultivirten Ländern so freigebig angewiesen, zur Armen-Colonisation benutzen, alle Armuth in einem Staate verschwinden müsse, hat noch nirgends Eingang gefunden.

Ich habe mich weit von meinem Gegenstande entfernt und lenke ein.

Man stellt sich in Europa gemeiniglich vor, daß die öffentliche Wohlfahrt in den vereinigten Staaten auf zu materiellen Grundlagen ruhe, und über dem allgemeinen Streben nach Erwerbung irdischer Glücksgüter


  1. Der Steuern (taxes) der N. A. Landleute sind, nach europäischen Begriffen, unglaublich wenige. Jeder, der eine Pflanzung (Farm, Bauergut) von 160 Acres (oder eine Viertel-Sektion) erworben hat, zahlt in den ersten 5 Jahren gar keine Steuern; später aber 1½ Cents (etwa 2 Kreuzer oder Groschen) jährliche Grundsteuer vom Morgen, zusammen also 2 Dollars 40 Cents, und an Gemeinden- oder Cantonsabgaben etwa 1 Dollar 60 Cents: – Alles in Allem also etwa 4 Dollars jährlich. Von unbezahlten Dienstleistungen, Frohnten, Zehnten u. s. w. weiß der amerikanische Landmann, wie sich von selbst versteht, nichts.