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daß sie die Volksfluth eines Welttheils aufnehmen können ohne Furcht vor Ueberströmung; – daß dieses Verhältniß unserer Zeit zu Gute kommt: – das ist das Werk der Vorsicht Dessen, der die Geschicke der Völker wie der Einzelnen mit Liebe lenkt. Wäre Nordamerika nur ein Jahrhundert früher von Europa kolonisirt worden, so wäre das Feudalsystem, mit allen seinen Volksglück- und Freiheittödtenden Consequenzen auf dasselbe übergegangen, und anstatt ein Reich der Vernunft und des menschlichen Glücks, und die Hoffnung für Millionen zu seyn, spiegelte es jetzt die Schauer-Zustände spanischer Colonien wider; – Nordamerika wäre ein Land:

„TO DESPERATES SHEWING DESPERATE SIGHTS.“

Es ist ein sehr glücklicher Umstand, daß nicht blos die ältern Staaten der Union, sondern auch noch fortwährend die neuern durch Menschen gegründet wurden und werden, die in der hohen Schule der Leiden erzogen und durch das Licht aufgeklärt sind, welches durch den Zusammenstoß widerstreitender Interessen im alten Europa, durch Revolutionen und deren Fehlversuche, in ihnen angezündet worden. Es setzt immer das Daseyn natürlichen Muths und Entschlossenheit voraus, wenn der Wunsch nach einem bessern Zustande so mächtig wird im Menschen, um die Scheu zu überwinden, sich aus langgewohnten Verhältnissen zu reißen, und ein ungewisses Schicksal jenseits des Weltmeers zu suchen. In jedem Falle sind es nicht geistesschwache Menschen, welche in Amerika eine neue Heimath suchen, wenn auch nicht immer edle und gute. Herumirrende Wesen, Menschen ohne Freistätte, Unglückliche, welche die alte Welt ausstößt, politische und religiose Schwärmer, Verfolger wie Verfolgte werden hier gute und glückliche Bürger. Die Nothwendigkeit der Arbeit, der angestrengten Arbeit, welcher jeder Neuansiedler sich unterwerfen muß, dämpft die Leidenschaften und hält die Begierden im Zügel. Die Last der Vorurtheile und der irrigen Meinungen, das mit aus Europa hinüber gebrachte Erbtheil, schüttelt der Geist dort bald ab, und die unter ihrem Druck erschlafften Seelenkräfte gewinnen dort, wo Beispiel und Bedürfniß gleich stark zu ihrem energischen Gebrauche auffordern, neuen Schwung. Religiose Intoleranz findet keinen Boden, wo sie fortkommen, geschweige gedeihen könnte. Bekenner aller Sekten, die sich in Europa blutig haßten, und keinen Andersdenkenden neben sich dulden wollten, vereinigen sich hier, ohne ihren Ansichten zu entsagen, als Brüder; denn die Religion, entkleidet von allem falschen und ungehörigen Prunke; einfach, wie ihre Priester; weder herabgewürdigt zu einem Werkzeuge der weltlichen Macht, noch emporgehoben zu pharisäischem Ansehen, sondern rein in ihren Zwecken und Wirken, predigt dort blos Liebe gegen Andere, und Dankbarkeit gegen Den, der des Guten, was Jeder in gleichem Maaße genießt, so viel gab. Eiserner, anhaltender Fleiß, nöthig, um die Schwierigkeiten des ersten Anfangs, sowohl für den Landwirth, als Gewerbsmann, zu überwinden, der reiche Lohn, der solchem Fleiße unmittelbar nachfolgt, Wohlstand, Freiheit und Unabhängigkeit, ungestörter Genuß, Friede, Ruhe und ein endloser Wirkungskreis lassen Europa und alles darin ausgestandene Mißgeschick und allen Ingrimm darüber bald vergessen. Mit