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CXXXXII. Die Pyramiden von Gizeh.




Langsam, unserm sterblichen Auge kaum bemerkbar, führt die ewige Allmacht die Menschheit von Stufe zu Stufe. An der unendlichen Himmelsleiter der Bildung ist jede Sprosse ein Jahrhundert, und ihre breiten Ruhestaffeln stehen Jahrtausende aus einander. Zwar dünken sie uns, schauen wir an der Leiter hinan, eng zusammengerückt; aber der Blick rückwärts zeigt uns ihrer großen Entfernung wahres Maas.

Denkmäler und Sage weisen nach, daß die Menschheit das zwölfte Jahrtausend noch nicht erlebt hat. Der Lichtstrahl also, welcher von ferner Gestirnen in dein Auge dringt[1], ist älter als dein Geschlecht. Dennoch halten Manche die Menschheit für alt; sie nehmen das Kind für den Greis.

Wir klimmen noch in der Bildung untern Regionen. Kaum drang durch die Nacht der Rohheit ein Dämmerungsstrahl der fernen Sonne. Aber so niedrig auch die von uns erreichte Bildungsstufe noch ist, so stehen wir doch viele Sprossen höher, als die Menschheit von gestern, als die Völker des Alterthums. Zweifelst du, so lese in der Weltgeschichte, in ihren Monumenten die Zeugnisse ihres Lebens.

Betrachte diese Pyramiden. Sie sind die Wunder der alten Welt und unter allen Werken von Menschenhand die allergrößten. Wenn du aber das Erstaunen bezwungen hast, welches die Masse dir abnöthigte, (und leicht kannst du es, wenn du diese von Menschen aufgeschichteten Berge mit denen der Natur vergleichst), so kannst du Betrachtungen nicht entgehen, die das Aufwärtsrücken dir klar machen, welches die Menschheit in ihrem Kulturgange seit der Gründung dieser Denkmäler gewonnen hat. Erwäge nur, Leser! welche Denkart, welche Verfassung, welche höhnende Rohheit der Herrscher und welches Thierthum der Völker dazu gehörte, um hier Steine zu Bergen auf einander zu häufen, dort Berge auszuhöhlen zum Behälter einer – – Leiche, oder Felsen in


  1. Das Licht der meisten unsern Augen sichtbaren Gestirne braucht, um im Weltraume die Strecke zu durchlaufen, welche sie von der Erde trennt, länger als 30,000 Jahre.