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ein. Leipzig ist dadurch ein Hauptstapelplatz nicht nur für deutsche Fabrikate, sondern auch für die Englands und Frankreichs geworden, und namentlich ist der Umsatz in wollenen, baumwollenen und seidenen Stuhlwaaren, in Leder, in nordischem Pelzwerk, von einem erstaunlichen Umfang. Im Handel mit Kolonialwaaren rivalisirt es mit Magdeburg, im Wechselhandel mit Frankfurt; der Wollhandel, unterstützt durch einen der wichtigsten Märkte für dieses Produkt, ist ein großes Geschäft, und der Buchhandel, welcher hier, wie nirgends in der Welt, Herz und Mittelpunkt hat, setzt viele Millionen um. Siebenhundert Buchhändler, und unter diesen welche aus fast allen Ländern Europa’s, ordnen in der Ostermesse, persönlich oder durch Vollmacht, ihre Jahresrechnungen, und die für dieß wichtige Geschäft hier bestehenden Einrichtungen sind ganz im Geiste eines Weltverkehrs, eben so originell, einfach und zeitersparend, als zweckmäßig. Zugleich sind sie für die Leipziger Buchhändler eine nie versiegende Quelle großer Vortheile, welche von andern Stapelplätzen oft bestritten und immer beneidet, aber noch nicht getheilt worden sind. Verwandte Zweige: Musikalienhandel, Buch- und Notendruckerei, Stereotypengießerei etc. existiren hier in großartigern Anlagen, als – wenn wir einige in London und Paris und unser eigenes Etablissement ausnehmen – irgendwo in Europa. Die Brockhaus’schen Offizinen z. B. beschäftigen nahe an hundert Menschen.

Fassen wir den geistigen und materiellen Verkehr Leipzigs in seiner Gesammtheit auf, so können wir uns eines Gefühls von Staunen und Ehrfurcht nicht entschlagen, das uns, so zu sagen, wider Willen beschleicht. Der berechnende Verstand erschrickt vor der kolossalen Größe der Resultate jenes stillen, vielhundertjährigen Austausches der Erzeugnisse des Bodens und der Industrie, von Kenntnissen und Beobachtungen, von Erfahrungen und Ideen zwischen Völkern und Menschen. Hand in Hand mit Handel und Gewerbfleiß ziehen hier Kunst und Wissenschaft immerfort aus und ein, und auf des Leipziger Verkehrs nie rastender Woge schwimmt die Saat der Kultur und Civilisation von einem Land zum andern. – Gerne legen wir das Bekenntniß nieder: In Betreff der erhabensten und edelsten aller Wirksamkeiten, der Verbreitung der Humanität, kann kein anderer Ort der Welt mit Leipzig sich messen; seine blutgetränkten Fluren aber, auf welchen zweimal[1] Entscheidungskämpfe gekämpft wurden, bleiben für die Freiheit des Glaubens und die Unabhängigkeit des Vaterlandes ein ewig classischer Boden.




  1. Am 7. September 1632 (für die Glaubensfreiheit) durch Gustav Adolph’s unsterblichen Sieg über Tilly; und am 16–19. October 1813 in der bekannten Völkerschlacht.