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Einrichtungen alter und neuerer Zeit, der politischen wie der kirchlichen, zur leiblichen und Seelenbeherrschung der Massen, sind gegen diese nichts und vergleichen sich ihnen wie schlechte Schülerarbeiten zu denen des Meisters. –

Der Ganges, der Geburtsort dieses an der Menschheit Hochverrath übenden Religionssystems, blieb auch der vornehmste Sitz seiner sogenannten Heiligthümer. Dort, wo jener gefeiertste der Ströme, aus den Gletscherwüsten des Himalaja kommend, mit mächtiger Fluth die Riesenmauer des Sewalukgebirges durchbricht, um sich in die Ebenen von Hindostan zu wälzen, liegt Hurduwar (Hurdi-war, die Pforte Gottes), ein so heiliger Ort, daß die Nennung des bloßen Namens schon im Glauben des Hindus ein Gott wohlgefälliges Gebet ist. Sechs Millionen Hindus pilgern jedes Jahr hierher, und viele kommen von den weitesten Entfernungen, um in den Fluthen des heiligen Stromes ihre Seele von aller Schuld zu reinigen. Hindostan ist reich an solchen Mauthstätten der Dummheit und des Betrugs, aber keine ist größer und einträglicher: – 12,000 Braminen sind hier die Zöllner. Doch nicht allein sie, auch der Wucher und Schacher mit andern Waaren hält, wie in so manchen nichtindischen Wallfahrtsorten, in Hurduwar reiche Aerndte, und Tänzerinnen, Gaukler, gefällige Mädchen, Verkäufer von Waaren aller Art, halten hier zu Tausenden Markt. Die Stadt und ihre Umgebung ist während der Pilgerzeit, im Sommer, ein endloser Bazar, in dem neben den Manufakturen von England, die Parfüms von Paris, die Shawls von Caschemir, die Seidenzeuge China’s, die Korallen des rothen Meeres, die Diamanten Golconda’s, die Perlen von Zeylon, Rosenöl aus Persien, Schweizer Uhren, arabische Spezereien, Balsam aus Timbuktu und seltene und kostbare Dinge aus allen Erdgürteln zum Kauf ausliegen. Man schätzt den Betrag des jährlichen Waarenumsatzes an diesem Wallfahrtsorte auf mehr als 20 Millionen Gulden. –

Die Hauptstraße der Stadt führt längs dem hohen und steilen Stromufer hin. Sie hat an mehren Stellen Ausgänge, von denen hohe Treppen hinab zum Flusse leiten. Die größte und breiteste dieser Treppen ist die hier abgebildete, und die Stromstelle an ihrem Fuße sieht im Rufe, die heiligste und wirksamste im ganzen Ganges zu seyn. Daher ist hieher stets der größte Andrang der Pilger, und es ist schon der Fall gewesen, daß 500,000 an einem einzigen Tage ihre Waschungen daselbst verrichteten. Letzteres geschieht, am Tage, wie in der Nacht, nackt, ohne Unterschied des Alters oder Geschlechts, und es bedarf keines scharfen Beobachters, um zu bemerken, daß nicht Frömmigkeit und Aberglaube allein die Badenden zusammen schaart. Von jedem Pilger wird für die Erlaubniß sich zu entsündigen von den Braminen eine Abgabe erhoben, und außerdem gehen immer Tausende dieser indischen Pfaffen unter der wogenden Pilgermasse umher, und fordern mit lauter Stimme zu gottgefälligen Opfern auf. Die Summen sind unglaublich, welche auf diese Weise erhoben werden. Die Einnahme der Priester überstieg an einem Tage einst die Summe von 240,000 Gulden. Unglücksfälle sind so gewöhnlich, daß sie nicht beachtet werden; denn obschon der Strom, wenn ihn nicht Regengüsse anschwellen, für Erwachsene keine lebensgefährliche Tiefe hat, so gibt doch der gränzenlose Unfug zur Nachtzeit, die eine Menge Berauschter in die Fluthen lockt, nur zu häufig Anlaß, daß Viele