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Die Kayen sind stattlich und laufen eine Stunde lang am Scheldeufer hin. Sie sind mit schattenden und blühenden Bäumen bepflanzt und machen die Lieblingspromenade der Antwerpner aus, auf welcher es nie an Leben, Abwechselung und Unterhaltung gebricht. Die durch Napoleon ausgetiefte Schelde trägt die größten Kriegsschiffe ohne alle Gefahr bis in die Bassins, welche der Kaiser, groß genug für die Aufnahme von 50 Linienschiffen und eben so vielen Fregatten, innerhalb der Stadt anlegte. Es war seine Absicht, Antwerpen zum ersten Seehafen und Arsenal seines Reichs zu erheben und zu gleicher Zeit ein zweites London und ein anderes Portsmouth daraus zu machen. Er verwendete auf die Arbeiten zu diesem Zwecke 80 Millionen Franken. Die unermeßlichen Werfte für den Bau von Kriegsschiffen wurden in Folge eines dem eifersüchtigen England zugestandenen Artikels des Pariser Vertrags von 1814 geschleift, und die Docks selbst dem friedlichen Handel zum Gebrauche übergeben. Als die deutsche Hansa blühete, hatte der Bund da, wo jetzt die Docks sind, Bassins für seine Schiffe, seine Speicher und Contore; noch ist sein alter Pallast, der Oesterling, übrig – die einstige Wohnung der Faktoren und Kommis jenes merkwürdigen Vereins. Sie enthält außer 600 Wohnzellen eine Menge feuerfester Waarengewölbe, welche jetzt als Ställe benutzt werden. – Antwerpen hat eine Börse, die prächtigste und zugleich die älteste Europa’s. Es gab eine Zeit, wo sie den Mittelpunkt des Weltverkehrs ausmachte und täglich 9 bis 10,000 Kaufleute aller Nationen sich hier versammelten. Das Rathhaus, die Post, das neue Theater sind sehenswerthe Gebäude. Das Arsenal war berühmt. Es ging im Bombardement der Holländer (1830) in Flammen auf und liegt noch in Ruinen. Auch die großen Waarenhäuser, welche damals mit ihrem, viele Millionen werthen Inhalte verbrannten, sind erst zum Theil neu aufgebaut. Der jetzige Seehandel des Platzes erfordert so ungeheuere Speicher nicht mehr.

Die Krone aber unter allen Gebäuden Antwerpens ist die Cathedrale. Der Bau dieses Gotteshauses, eines der herrlichsten der Christenheit, mit dem höchsten, (447 Fuß hohen), Thurme in der Welt, wurde in der ersten Hälfte des 15ten Jahrhunderts begonnen und nach 95 Jahren (1518) nicht vollendet, sondern aufgegeben: denn der eine Thurm ist nur halb fertig und viele Verzierungen, die nach dem ursprünglichen Plane diesen Wunderbau schmücken sollten, blieben weg. Zerwürfnisse im städtischen Gemeinwesen, Religionspartheiungen und vielleicht auch der Umstand, daß der Handel nicht mehr den reichen Gewinn abwarf, an den man früher gewöhnt war, machten, daß die Antwerpener am Ende wenig Lust mehr zur Dombausteuer zeigten, – die nämlichen Ursachen, welche auch anderwärts die Vollendung so vieler ehrwürdigen Denkmale der altdeutschen Baukunst hinderten. Die Länge dieses ungeheuern Gebäudes, dessen Bau und Verzierung, nach jetzigem Werthe, über 60 Millionen Gulden gekostet hat, ist nahe an 500 Fuß, und die Breite des Schiffs (die Seitenschiffe eingeschlossen) 230 Fuß. Die Decke wird von 125, beinahe 200 Fuß hohen, Säulen getragen.