Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Vierter Band | |
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verlangte für seine so lange genossenen Privilegien? Schirm in der unbeschränkten Ausübung der Gewissensfreiheit? Unmöglich! – Zu allen Zeiten war Rechtsbehauptung der Völker den Despoten ein Gräuel und synonym mit Rebellion und Empörung. Folglich auch dem spanischen Philipp. Haß im Herzen gegen das brave Flamand, sandte er, es zu demüthigen, die verworfensten Menschen als Machthaber in’s Land und errichtete ein System der raffinirtesten Plackerei und Bedrückung da, wo er kurz zuvor ein väterliches Regiment feierlich angelobt hatte. Die Großen des Volks wurden mit Verachtung behandelt, die Städte mit maßlosen Steuern beladen, der Handel durch Zölle, Abgaben und Beschränkungen aller Art gedrückt und gehemmt; auf die unablässigen Beschwerden gab er höhnende Antwort. Endlich ergriffen die Flamänder das letzte Rechtsmittel gegen Tyrannen: – sie ergriffen die Waffen. Philipp dekretirte nun für das großentheils protestantische Land Ausrottung der Ketzerei, Einführung der Inquisition, Aufhebung aller Privilegien – und ein Heer spanischer Mönche, Henker und Waffenknechte sandte er her, den gefürchteten Alba an der Spitze, die aufrührerischen Protestanten zu gleicher Zeit zu bekehren und zu züchtigen. So entstand ein Krieg, der über ein halbes Jahrhundert gedauert hat und in dem ein verhältnißmäßig kleines und schwaches Volk gegen den mächtigsten Fürsten der Erde, zum Erstaunen der Zeitgenossen, zur Lehre für die Nachwelt und allen Nationen für immer ein herzerhebendes, begeisterndes Beispiel, seine Freiheit, seine Unabhängigkeit erkämpfte. Vergeblich bluteten 18,000 Flamändische Bürger, Hohe und Niedere, unter dem Beile des Scharfrichters; vergebens erschöpfte der gewissenlose Monarch alle Mittel der Macht: Gift, Dolch, Verrath, Lüge, Bestechung und Versprechung; vergebens sandte er Heer auf Heer und schickte Flotte auf Flotte: an der Flamänder eisernem Heldensinne zerschellten alle Anstrengungen und Anschläge des Despoten.
Unter tausend Todesgefahren errang sich die Nation ihre Unabhängigkeit und Freiheit. Freilich nicht ohne die schmerzlichsten Opfer. Nach mancher gewonnenen Schlacht durchzogen die spanischen Heere sengend und brennend das Land von einem Ende zum andern, und ein großer Theil der Bevölkerung, die das Schwerdt verschonte, fraß das Elend. Das größte aller Opfer brachte Antwerpen. Nachdem es in einer langen Belagerung heldenmüthig widerstanden, fiel es in Alba’s Gewalt (1585), der Rest seiner Vertheidiger endigte auf dem Blutgerüste, und Flamme und Plünderung theilten sich in ihre Habe. Schon vor der Belagerung waren viele Kaufleute mit ihren Geschäften in das durch seine Lage geschütztere Amsterdam geflüchtet. Alba erbaute die in unsern Tagen durch ein zweckloses Gladiatorenspiel so berühmt gewordene Citadelle, um die Zwingherrschaft über die zertretene Stadt dauernd zu begründen, und vor dem blutigen Kriegsgott floh des Handels friedlicher Genius. Als endlich im Westphälischen Frieden die Schelde für die Niederlande geschlossen wurde, verging auch der letzte Rest seines durch Philipps Faust zerschlagenen Handelsflors und nicht ein Schatten blieb zurück.
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Vierter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam und New York 1837, Seite 219. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_4._Band_1837.djvu/225&oldid=- (Version vom 8.10.2024)