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leuchtenden Blicks, mein Brüsseler Freund, und die Phrase machte mir eine schlaflose halbe Nacht. Ich nahm sie kopfschüttelnd auf und am Ende gab ich ihm Recht. Ein und zwanzig Säle und Zimmer füllten blos Modelle und Musterexemplare von allen anerkannt-guten Maschinen für jede Art von Industrie und Gewerbe, für Haus- und Landwirthschaft. Diese Säle sind immer und allem Volk geöffnet und mit dem lebhaftesten Interesse sah ich Hunderte von Handwerkern und Landleuten zeichnen, messen, probiren, sich zusammen gruppiren und über den Werth und Unwerth des Untersuchten diskutiren. – In dem untern Stocke sind die Räume für die Gewerbschule; dort sah ich 1600 junge Leute (Lehrlinge von allen Handwerkern etc.) mit Zeichnen, Modelliren, der Mathematik, Mechanik und Experimentiren in der gewerblichen Chemie unter der Anleitung von einigen 30 Lehrern beschäftigt. – Belgiens ehrenvolles Voranschreiten in allen Zweigen der Industrie, das Wunder seiner Nationalwohlfahrt, ist mir, seit meinem Besuche des PALAIS DE L’INDUSTRIE, kein Räthsel mehr.

Die nächste Straße führt nach der RUE ROYALE, der schönsten und größten Brüssels, deren eine Hälfte Fronte gegen den herrlichen Park macht, welchen wir in einem frühern Theile dieses Werkes schon beschrieben haben. Hier raste der harte Kampf um Belgiens Unabhängigkeit in den Augusttagen 1830 am hartnäckigsten; aber jede sichtbare Spur davon wäre verlöscht, zeugten nicht die häufig abgerissenen Aeste und zerschossenen Stämme der hundertjährigen Bäume an der Außenseite des Parks von der Verwüstung, welche hier die Kanonenkugeln angerichtet haben müssen. Der königliche Pallast, dem Parke gegenüber, hat eine imposante Vorderfronte und sein Inneres ist sehr geschmackvoll meublirt. Der König residirt aber gewöhnlich in Laeken. – Nahe dabei ist der Pallast der Prinzen von Oranien, einer der schönsten Europa’s. Alle Wände der innern Räume sind mit den edelsten Marmor- und Jaspisarten, die Fußböden mit wohlriechenden Zedern, mit Rosen- und köstlichem Sandelholz ausgelegt, die Decken von den Händen berühmter Maler geziert, oder auf das reichste vergoldet. Die Meubles allein, zum Theil von massivem Silber, sind auf 6 Millionen Gulden geschätzt worden. Seit der Vertreibung des Hauses Nassau steht dieses Krongut seines ehemaligen Fürsten unter Sequester des Belgischen Volks. Der andern Seite des Parks gegenüber erhebt sich die prächtige Säulenfronte des PALAIS DE LA NATION, in welchem die beiden Häuser des belgischen National-Congresses ihre Sitzungen halten. Die Verzierung der Versammlungsräume ist sehr einfach; doch würdig. Am schönsten ist die Ausschmückung der Gallerie für die Zuhörer: das Volk. – Betrachten wir nun noch Brüssels gefeiertesten Gottestempel! und dann sey es für heute genug. Die Kathedrale von St. Gudule gehört zu den schönsten Denkmälern des byzantinischen Kirchenstyls. Ihre Erbauung fällt in das 13te Jahrhundert. Sie hat die Form eines länglichen Vierecks mit hervorspringenden Portiken und besteht aus dem Schiff mit 2 Seitenflügeln, welche von jenem durch nahe an 100 Fuß hohe Säulenbündel getrennt sind. Die Länge der Kirche mißt fast 400 Fuß. Kunstschätze der Oel- und Glasmalerei, Erzgießerei, der Metall- und Holzsculptur