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Orangen, Granatapfeln und Oliven mit den köstlichsten Weinpflanzungen und unzähligen Landhäusern und volkreichen Flecken abwechselten. Der erste arabische Eroberer, Muza, machte es zu seiner Residenz; und von hier, als dem Mittelpunkte der maurischen Macht, schwang sich das Panier des Propheten durch die Halbinsel von Stadt zu Stadt bis auf der Pyrenäen umwölkte Zinnen. – So fest gegründet war Sevilla’s Wohlstand durch Handel und Gewerbe, daß ihn die Verlegung des Hofs nach Cordova nicht erschütterte. Bis in die letzten Zeiten der arabischen Herrschaft war es der Mittelpunkt des Verkehrs zwischen Afrika und Europa und 3000 Seeschiffe entlöschten jährlich an seinen Kayen.

Das christliche Kreuz wurde für Sevilla zum Kreuz auf dem Grabe seines Wohlstandes. – Als Ferdinand der Heilige, nach 16monatlicher Belagerung, durch die Thore der Ueberwundenen einzog, war ihre paradiesische Gegend in eine Wüste verwandelt, alle Dörfer und Städte ringsum waren Aschenhaufen, ein großer Theil Sevilla’s selbst rauchender Schutt, Hunger und Pestilenz und das Geschoß und Schwerdt der Belagerer hatten die Zahl der Einwohner unter die Hälfte herabgebracht. Dreimal hundert Tausend, die Ueberbleibsel der maurischen Bevölkerung, schleppte Ferdinand als Gefangene hinweg, oder er schickte sie in die Verbannung, und bald nach der Errichtung des christlichen Staats gab eine Zählung die Gesammtbevölkerung auf kaum 256,000 an. Von 90,000 Seidenwebestühlen, die zur maurischen Zeit hier in Thätigkeit gewesen, fanden sich im Jahre 1700 noch 16,000 vor; die Zählung von 1800 ergab eine weitere Verminderung derselben auf 2318, der Einwohner waren nur noch 80,568. Gegenwärtig übersteigt die Zahl der letztern 40,000 nicht; die Hälfte der Häuser steht öde und verfällt. – Handel und Gewerbe sind geflohen und der Guadalquivir selbst ist nicht einmal für große Boote mehr fahrbar, Folge der Nachläßigkeit, welche in Spanien alle Werke des öffentlichen Nutzens verderben läßt.

Doch troh seines Verfalls hat das heutige Sevilla, der Menge seiner alterthümlichen Prachtgebäude wegen, von Außen ein herrliches und von Innen mehr als irgend eine andere Stadt Spaniens ein ächt maurisches Ansehn. Die Straßen sind winklich, finster, und oft so eng, daß ein Erwachsener mit ausgestreckten Armen die Häuserwände zu beiden Seiten der Straße zugleich berührt. Die vielen großen öffentlichen Gebäude, Moscheen und Palläste aus der arabischen Zeit, wurden nach der christlichen Eroberung fast ohne Ausnahme kirchlichen Zwecken gewidmet; Ferdinand gründete 85 Kloster, die er mit den Gütern der Vertriebenen königlich dotirte. Un keinem Orte in der Welt, Rom allein ausgenommen, zeigte die Kirche solchen Pomp und solche Pracht in Prozessionen und Feierlichkeiten ähnlicher Art und über dem blendenden Heiligenschein sah man die tiefe innere Verderbniß nicht. Jedoch auch der Nimbus ist nun hin, und das gränzenlose öffentliche Elend, nicht mehr versteckt in prunkenden Prozessionen und nicht mehr gemildert durch das Almosenspenden der nun geschlossenen Klöster, liegt vor dem entsetzten Blicke entschleiert da. Raubsucht gattet sich zur Arbeitsscheu des Volks und führt den Banden in den Gebirgen, die